zum Hauptinhalt

Lesermeinung: Unterliegen die Opfer dem Konzept?

Zu: „KGB-Gedenkstätten-Streit geht weiter. Offene Kritik von Zeitzeugen bei Jubiläumsveranstaltung “.

Stand:

Zu: „KGB-Gedenkstätten-Streit geht weiter. Offene Kritik von Zeitzeugen bei Jubiläumsveranstaltung “. 31.5. 2010

Staatssekretär Gorholt ist wohl über den Ursprung und die Entwicklung des KGB-Gedenkstätten-Konflikts sehr einseitig informiert worden. Die Gedenkstättenleiterin Frau Dr. Reich hat von ihrer Amtsübernahme an alles getan, um den Eindruck zu erwecken, das Schicksal der Opfer spiele in ihrer Konzeption nur eine untergeordnete Rolle. So hat sie mit fadenscheinigen Argumenten die Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“ aus der Gedenkstätte verbannt. Gegenüber den PNN äußerte sie im November 2009: „Das Gebäude ist das Hauptexponat“. Tatsächlich kann der derzeitige Zustand des Gebäudes nicht annähernd die deprimierende Wirkung auf die Insassen in den Nachkriegsjahren widerspiegeln. Ich habe 1952 als Neunzehnjähriger fünf Monate unter menschenunwürdigen Verhältnissen in diesem Gefängnis verbracht. Ich war Teil der „Meuselwitzer Gruppe“, die aus ehemaligen Schülern der Meuselwitzer Oberschule bestand.

Wir waren vom KGB quasi entführt worden und wurden im Gefängnis Leistikowstraße ohne jeden Kontakt zur Außenwelt festgehalten, so dass wir für unsere Angehörigen lange Zeit spurlos verschwunden waren. Permanenter Schlafentzug durch stundenlange nächtliche Verhöre wirkten als physische und psychische Folter. Gegen mich wurden mehrfach Todesdrohungen ausgesprochen. Der Prozess vor dem sowjetischen Militärtribunal war meilenweit vom normalen Rechtsverständnis entfernt. Vier der Mitangeklagten wurden unter aberwitzigen Beschuldigungen zum Tode verurteilt, zwei Schulkameraden und ich zu je 25 Jahren Arbeitslager. Den Angehörigen der hingerichteten Schulkameraden wurde offiziell mitgeteilt, die beiden seien in der Sowjetunion verstorben. Im Abschlussbericht der russischen militärischen Staatsanwaltschaft von 1996 hieß es zu unserem Prozess: „In der Sache finden sich keine tatsächlichen Beweise für die Ausübung der Spionage oder anderer ungesetzlicher Handlungen“. Für drei von uns kam das 43 Jahre zu spät.

Prof. Hans Günther Aurich, Marburg

Die Zeitzeugen fordern ...

Ohne unsere Zeitzeugen, ohne das ehrenamtliches Engagement hätte das Haus nicht gerettet werden können. Wir freuen uns, dass es an den Wochenenden geöffnet ist, aber leider nur in einem Umfang, den wir schon ehrenamtlich seit 2000 sicherstellen konnten.

Dabei wäre es doch einfach, nur einige Forderungen der Zeitzeugen umzusetzen – leider wird fast alles abgeblockt. Seit der Wiedereröffnung haben wir die Gedenkstätten-Leiterin gebeten, die Kellerräume umgehend abzudunkeln. Sonnendurchflutete Folterkeller sind ein Hohn. Nichts ist geschehen. Wir werden vertröstet auf eine Ausstellung im Sommer 2011. Da der Begegnungsraum seit Monaten gesperrt ist, konnten wir bei nass-kaltem Wetter die Gedenkfeier – anders als in allen Jahren zuvor – nicht in der „Gedenk- und Begegnungsstätte“ durchführen. Für die Gedenkfeier war das Haus dann ab 13.30 bis 15 Uhr speziell für unsere Gäste geöffnet.

Die Zeitzeugen fordern, dass Vereine und Öffentlichkeit über das Konzept der neuen Ausstellung informiert werden; eine Präsentation der Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“; eine konkrete Einbeziehung der Zeitzeugen-Initiative; Zeitzeugen-Gespräche, dass Wegweiser zur Gedenkstätte aufgestellt werden. Warum wird öffentlich und intern die Behauptung gestreut, wir würden die Gedenkstätten-Arbeit behindern? Dabei nutzen die Mitarbeiter für ihre Führungen Materialien, die Frau Kurze erarbeitet und dem Haus übergeben hat. Aber Führungen sollen oder dürfen die Zeitzeugen nicht selber übernehmen. Diese Gedenkstätte ist laut Stiftungsurkunde eine „Begegnungsstätte“ und kein Museum. Es ist absurd, zu behaupten, die Gedenkstätte sei überlastet – zugleich aber werden Zeitzeugen und Verein systematisch ausgegrenzt. Wir werden weiterhin den Dialog suchen. Aber wir fordern reale, erkennbare Fortschritte. Außerordentlich bedauern wir den Mangel an Sensibilität gegenüber den Zeitzeugen und ihren berechtigten Anliegen.

Dr. Richard Buchner, Historiker, Gedenkstätten-Verein

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })