Lesermeinung: Was der Mensch braucht
Zu „Standpunkte“ vom 2. 2.
Stand:
Zu „Standpunkte“ vom 2. 2. 2004 „Wer braucht ein Stadtschloss?“: Maren Poeschke stellt diese wichtige Frage und hat völlig recht. Wir brauchen es nicht. Wir brauchen es genauso wenig, wie wir Musik „brauchen“ oder ein schönes Bild an der Wand. Oder brauchen wir sie doch, die schönen Dinge in unserem Leben? Dass das alte Stadtschloss ein besonders gelungener Bau war, meinen viele. Warum sollen wir nicht, was Krieg und politischer Fanatismus zerstörten, wieder aufbauen? Ich erinnere mich, dass ich als Junge oft vor dem Schloss stehen geblieben bin und gedacht habe: Ist das schön! Es ist ein gelungener Bau des gleichen Architekten, der auch Sanssouci erbaut hat, wäre dieses Schloss zerstört, würde doch keiner auf die Idee kommen, dafür ein modernes Gebäude hinzusetzen! Vielleicht steht hinter der Ablehnung von Frau Poeschke unser Umgang mit unserer Geschichte. Mir fällt auf, dass wir mit besonderem Vergnügen die negativen Ereignisse in unserer Geschichte hervorheben. Ganz anders die Franzosen, die Engländer usw. Die Geschichte unseres Volkes besteht doch nicht nur aus den zwölf Jahren der Hitler-Diktatur. Und Garnisonen und Kirchen für diese Garnisonen haben alle anderen Völker auch. Und auch Schlösser, in denen manch fragwürdige Dinge ausgebrütet wurden. Man könnte auch davon erzählen, was es an Schönem und Gutem im Verlauf unserer Geschichte gegeben hat. Dann würde man zum Beispiel davon erzählen, dass der Kurfürst, der an dieser Stelle zum ersten Mal ein Schloss baute, weil er die Schönheit Potsdams entdeckte, das vom dreißigjährigen Krieg weitgehend zerstörte Brandenburg wieder zu einem gesunden Staat aufgebaut hat und dass er in einer Zeit übelster Intoleranz in diesem Schloss das berühmte Toleranz-Edikt von Potsdam erlassen hat. Oder, dass die erste Potsdamer Stadtverordnetenversammlung, die gewählt war, in der Garnisonkirche stattfand. Sie würden davon erzählen, dass nicht zuletzt einstige Gemeindemitglieder der Garnisonkirche am Putsch vom 20. Juli beteiligt waren. Diese Liste könnte man beliebig verlängern, wie wir alle wissen. Warum betonen wir im Rückblick immer nur das Negative? Wilhelm Stintzing, Potsdam
Wilhelm Stintzing
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