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Lesermeinung: „Weinend vor Hunger“

Zur Ausstellung „Kohldampf und Bombentrichter – Potsdam 1945 – Tag um Tag“ im Potsdam-Museum Ich bin eine Zeitzeugin jener schlimmen Tage des Jahres 1945. Als ich die Ausstellung in der Benkertstraße betrat, fiel mir sofort die in einer Vitrine sitzende Zelluloidpuppe ins Auge.

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Zur Ausstellung „Kohldampf und Bombentrichter – Potsdam 1945 – Tag um Tag“ im Potsdam-Museum Ich bin eine Zeitzeugin jener schlimmen Tage des Jahres 1945. Als ich die Ausstellung in der Benkertstraße betrat, fiel mir sofort die in einer Vitrine sitzende Zelluloidpuppe ins Auge. Nur ein anderes Kleid trug die Puppe „Lieselotte“, die meine sechsjährige Schwester, fest an ihre Brust gedrückt, über die Bombennacht am 14. April 1945 rettete. Wir waren im Keller der Alten Königstraße 24 (heute: Friedrich-Engels-Straße) verschüttet und wurden in letzter Minute befreit. Diese Puppe begleitete meine Schwester bis zu ihrem Tod im Jahr 1986. Die scharfkantigen Granatsplitter, in einer anderen Vitrine, gehörten nicht zu meinen Sammelobjekten, dafür aber die nicht weniger gefährlichen, bunten Glasscherben der Fenster der Erlöserkirche, die mir in Ermangelung von Spielzeug die Puzzlesteine ersetzten. Auf einer Schiefertafel, ebenfalls hier zu bestaunen, erlernte ich ab 1947 das Schreiben und ich weiß noch, wie ich die darauf geschriebenen Hausaufgaben „bewachen“ musste, weil einige Mitschülerinnen versuchten diese auszulöschen. Dafür reichte Spucke! Das Flugblatt „Rettet die Kinder!“ mit dem Aufruf zum Benefizkonzert erinnerte mich daran, dass ich im Ergebnis dieser Aktion einen Kohlegutschein für 12 Kilo Kohlen, ein winziges Püppchen und einen Bezugsschein für ein Paar Halbschuhe bekam und wie wir uns darüber gefreut haben. Anrührend der Briefwechsel des Ehepaares Ribbe. Beim Lesen der verblichenen Zeilen stellte ich fest, dass meine Großmutter ihren kleinen Obst- und Gemüseladen im Keller des Hauses Viktoriastraße 94, direkt unter den Räumen der Drogerie Ribbe, führte. Die Adresse des Sohnes der Familie Ribbe, der die Briefe seiner Eltern für die Ausstellung zur Verfügung gestellt hatte, war schnell ermittelt. Erinnerungen wurden ausgetauscht und nun will er mir helfen, für meine Familienchronik Bildmaterial von der Viktoriastraße aufzutreiben. Mit großem Interesse las ich die in den verschiedenen Räumen der Ausstellung ausgehängten Texttafeln. Dabei erinnerte ich mich vieler Einzelheiten, die ich selber erlebte oder von denen mir meine Mutter erzählte. Lange Zeit verbrachte ich in der Ausstellung und mir kamen auch einige Bedenken! Werden junge Leute bereit sein, die vergangene Zeit so intensiv zu betrachten? Werden sie die Texttafeln überhaupt lesen? Was wird sie in dieser Ausstellung ansprechen? Wie kann man verhindern, dass sie hier alleine gelassen werden? Zu mir „sprachen“ viele Exponate, aber sie gehörten auch einst zu meinem Leben, zu vielem könnte ich eine eigene Geschichte erzählen. Und in diesem Zusammenhang fragte ich mich: Wirkt der „Bombentrichter“, künstlich angelegt, nicht lächerlich, wenn er noch nicht mal die Größe einer Sandburg an der Ostsee erreicht, die ja alle Jugendlichen kennen? Wie groß wäre er gewesen, wenn man die auf dem Krankenhausgelände gefundene Bombe gesprengt hätte? Der kleine „Trümmerhaufen“ ist gar kein Haufen. Ich hatte damals immer einen kleinen Rucksack dabei, in dem beim Spielen in den Trümmern jedes Holzstück, jeder Span verschwand, weil es zu Hause dringend benötigt wurde. So viel Holz auf diesem „Trümmerhaufen“ ist unrealistisch. Zum Titel-Begriff „Kohldampf“ muss ich etwas anmerken: Bestimmend für mein Leben nach dem Bombenangriff war – neben der jahrelangen, nächtlich wiederkehrenden Angstattacken – der allgegenwärtige Hunger. Wie oft saß ich mit meiner Schwester abends weinend vor Hunger im Bett, wir konnten nicht einschlafen, es tat so weh. Da half kein Märchen und auch kein Gute-Nacht-Lied und meine Mutter weinte mit uns, weil sie nichts hatte, was sie uns zu essen hätte geben können! Ich wünsche mir, dass kein Kind, kein Jugendlicher mehr in schrecklicher Angst mit peinigendem Hunger aufwachsen muss! Karin Hanusch, Niemegk

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