POSITIONEN: Man muss nicht mehr nach Frankfurt fahren
Das einst wichtigste literarische Event verkommt zum Rummel
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So leer fühlte sich die Frankfurter Buchmesse noch nie an. „Der Branche geht’s schlecht“, ist deshalb für viele das Fazit. Anstatt jedoch den Rückgang der ausstellenden Verlage und das Abebben der Besucherströme zu beklagen, lohnt ein Blick auf die Gründe dafür. Nur so offenbaren sich auch die vielfältigen Möglichkeiten, die die digitale Buchwelt Autoren bietet.
Bisher galt: Nur Verlage können, was Verlage können. Nur sie hatten das Geld, um große Erstauflagen zu drucken, die Beziehungen, um die Bücher in die wichtigen Feuilletons zu bringen, und das Vertriebsnetz, um für Präsenz im Buchhandel zu sorgen. Womöglich wurde darüber mancher Lektor und Verleger etwas träge, selbstgefällig und allzu begeistert von der eigenen Bedeutsamkeit.
Mit dieser exklusiven Torwächterrolle ist es heute nicht mehr weit her. In den Frankfurter Messehallen war das plastisch zu sehen: W-Lan-Inseln und „Lounge Areas“ füllten immer mehr Lücken, die durch das Wegbleiben von Verlagen entstanden sind.
Neben denen, die sich die Messestände nicht mehr leisten können, gibt es auch jene, die sie schlichtweg nicht nötig haben. Wattpad zum Beispiel, die Social-Reading-Plattform mit mehr als zwanzig Millionen Nutzern weltweit, hatte keinen Stand in Frankfurt. Wo Autoren und Leser ohnehin täglich miteinander kommunizieren, sich gegenseitig Feedback geben, Autoren Leser um Rat fragen und die Community ihrem Lieblingsautor vorschlägt, wie die Geschichte weitergehen soll, wäre ein Messestand so fehl am Platz wie eine Pferdekutsche auf der Auto-Messe.
Richtig düster sieht es hingegen beim Buchhandel aus. Die vielen tausend engagierten Buchhändler, die in Frankfurt traditionell für das große Weihnachtsgeschäft munitioniert wurden, können sich die Reise oft schlicht nicht mehr leisten. Selbst beim „Branchenprimus“ Thalia müssen Filialleiter selbst bezahlen – und dafür Urlaub nehmen! Wenn nun die Menschen wegbleiben, die die guten Geschichten zu ihren Endkunden weitertragen sollen, wird die Messe zum potemkinschen Dorf für die Massenmedien. Diesjähriger Tiefpunkt: Boris Becker lädt zur „Lesung“ aus seinem Buch voller Belanglosigkeiten. Das einst wichtigste literarische Event des Jahres verkommt so zum Rummel.
Weniger Verlage, weniger Buchhändler – all das sind unübersehbare Indizien für eine fundamentale Umkehr der Kräfteverhältnisse. Wie in allen Märkten, die von der Digitalisierung durchgeschüttelt werden, verlieren die Mittelsmänner zwischen den kreativen Autoren und ihren Lesern dramatisch an Bedeutung. Einer der Hauptgründe: Immer mehr Menschen lesen inzwischen elektronisch! Kein Insider glaubt die Propaganda des Börsenvereins, der uns unlängst noch zwei Prozent Marktanteil glauben machen wollte. Alle ernst zu nehmenden Verlage liegen bei E-Book-Anteilen von 15 Prozent aufwärts, Tendenz stark steigend.
Während die Papierbuchproduktion tiefe Taschen erforderte, kann heute jeder Autor sein E-Book per „Self-Publishing“, also im digitalen Selbstverlag, unabhängig auf den Markt bringen. Auch bei der Frage „Wie kommen die Bücher zu ihren Lesern?“ herrscht jetzt Chancengleichheit. Wer auf den gängigen Social-Media-Kanälen gezielt aktiv ist, seinen E-Mail-Verteiler pflegt und auf Lese-Plattformen im Netz Präsenz zeigt, wird damit mehr Wirkung erzielen, als jeder Verlag mit seinen Papier-Katalogen voller briefmarkengroßer Cover-Bilder.
Die Vielfalt steigt, die Empfehlungen werden passgenauer: In der Folge finden auch immer mehr Leser im Netz passende Buchtipps. Ergo: Im Jahr 2013 muss man nicht nach Frankfurt fahren, um vom Markt wahrgenommen zu werden. Im Internet können Autoren mit ihren Lesern in direkten Kontakt treten und sie mit ihren Büchern begeistern. Für sie ist 365 Tage im Jahr Buchmesse.
Der Autor ist Geschäftsführer der Kreuzberger Self-Publishing- und Print-on-Demand-Plattform „Ebupli“.
Jörg Dörnemann
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