Meinung: Mit den großen Jungs
Schlimmer als Bestechung ist Bestechlichkeit – warum Betriebsräte anfällig dafür sind
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Zuerst die IG Metall bei Volkswagen, jetzt die Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger bei Siemens: Offenbar waren die Arbeitnehmervertreter in beiden Unternehmen käuflich. Sie haben sich die Interessen ihrer Wähler durch persönliche Vergünstigungen oder durch die Alimentierung ihrer Organisation abluchsen lassen.
Bestechung ist gesetzwidrig und muss bestraft werden. Schlimmer aber ist Bestechlichkeit. Denn hier kommt Verrat an der eigenen Sache dazu. Wer sich bestechen lässt, verrät seine Aufgabe, und im Fall der Arbeitnehmervertreter auch seine Identität.
Dass die Arbeitnehmervertreter in Großunternehmen offensichtlich anfällig für die Avancen des Kapitals sind, hat natürlich einen Grund: Durch die gesetzliche Mitbestimmung haben sie Macht über das Unternehmen. Egal ob Überstunden, Kündigungen, Investitionen oder Standortsicherung – überall müssen die Arbeitnehmer um Einverständnis gebeten werden. Im umgekehrten Verhältnis dazu stehen die persönlichen Gehälter. Zwar werden freigestellte Betriebsräte oft bezahlt wie leitende Angestellte. Zudem bekommt die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat dieselbe Tantieme wie die Vertreter der Kapitalseite. Doch was ist ein leitender Angestellter gegen den Vorstand und was ein Aufsichtsratsmandat gegen die Verpflichtung, die Tantieme an die Gewerkschaft abzuführen?
Der frühere IG-Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler hat den Arbeitnehmern das Selbstbewusstsein beigebracht, auf Augenhöhe zu verhandeln. Es gab kaum einen, der besser geschnittene Anzüge trug als Steinkühler. Seine Devise, man müsse mit den großen Jungs pinkeln gehen können, um von ihnen akzeptiert zu werden, stimmte damals. Sie stimmt immer noch.
Es hat der Sache der Arbeitnehmer geholfen, dass Betriebsräte und Gewerkschaftler in den vergangenen Jahrzehnten selbstbewusster, sicherer und professioneller geworden sind. Geschadet hat ihr, dass einige Berufsbetriebsräte ihren Status mit dem des Managements verwechselt haben. Von den großen Jungs akzeptiert zu werden, heißt noch lange nicht, einer von ihnen zu sein. Komanagement ist eine konstruktive betriebliche Arbeitnehmervertretung, keine Kumpanei auf Kosten Dritter.
Es steht jedem frei, die Seiten zu wechseln. Es gibt genügend Beispiele von Gewerkschaftlern und Arbeitnehmervertretern, die in das Management gingen und da einigermaßen erfolgreich waren. Das ist der richtige Weg, wenn man das Gefühl hat, berufen (und unterbezahlt) zu sein.
Es ist kein Zufall, dass Bestechungsaffären in der Regel öffentlich werden, nachdem das Topmanagement einer Firma neu besetzt wurde. Das war bei Volkswagen so, das ist auch bei Siemens so, und es wird bei weiteren deutschen Großunternehmen zu beobachten sein. Offensichtlich scheint mit dem Wechsel im Management so viel Verunsicherung verbunden zu sein, dass Affären und Unregelmäßigkeiten nicht mehr verborgen werden können. Das ist gut.
Es würde die Sache beschleunigen, wenn sich auch Betriebsräte häufigere Wechsel auferlegten. Erstens wüchse die Wahrscheinlichkeit, bei Verfehlungen entdeckt zu werden. Und zweitens würden weniger Betriebsräte vergessen, wer sie sind: die gewählten Vertreter der Arbeitnehmer.
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