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In Myanmar gibt es erstaunliche Entwicklungen.

© dpa

Birma: Neue Freiheit in der "disziplinierten Demokratie"

Seit diesem Sommer überrascht Birmas Regierung mit bisher nicht dagewesenen Reformen. Gerhard Will von der Stiftung Wissenschaft und Politik analysiert deren Nachhaltigkeit und die Frage, wie sie von außen unterstützt werden können.

Es gehört zu den zahlreichen Paradoxien in der Entwicklung Birmas, dass dessen Militärregierung sich stets als eine „Übergangsregierung“ bezeichnete, deren wesentliche Aufgabe es sei, das Land in eine „disziplinierte und blühende Demokratie“ zu führen. Ein Widerspruch in sich – und die Wahlen im November 2010, die den Kriterien freier und fairer Wahlen Hohn sprachen, schienen die Auffassung der meisten Beobachter zu bestätigen, dass es den Machthabern in erster Linie um „Disziplin“ geht, die mit den Attributen „blühend“ und „Demokratie“ mühsam verbrämt wird.

Seit Sommer diesen Jahres jedoch überrascht die neue Regierung mit einer Reihe von Maßnahmen, die noch zu Jahresanfang kaum jemand für möglich gehalten hätte: Aung San Suu Kyi, weltweit anerkannte Vertreterin der Opposition und jahrelang in Haft oder unter Hausarrest, wurde offiziell vom Regierungschef empfangen, der Chef der Zensurbehörde verlangt öffentlich die Auflösung seiner Behörde, eine Nationale „Kommission für Menschenrechte“ empfiehlt die Freilassung von „Gewissens-Gefangenen“ und der Regierungschef lässt den Bau eines mit chinesischen Investitionen finanzierten Staudamms stoppen, da dieser „dem Willen des Volkes“ widerspreche.

Alles nur Kosmetik, wenden einige exilpolitische Gruppierungen ein, wie die in London ansässige „Burma Campaign“. Die Regierung wolle nur das vom Westen verhängte Sanktionsregime aufbrechen und ihr internationales Ansehen aufbessern, um 2014 den ASEAN-Vorsitz übernehmen zu können. Die Einschätzungen der Opposition im Land selbst wie auch die einiger westlicher Regierungsvertreter sind dagegen von vorsichtigem Optimismus geprägt. „Alles sei möglich“ erklärte Aung San Suu Kyi, und hochrangige Vertreter des amerikanischen State Department sprechen von „dramatischen Entwicklungen“, die einen „ernsthaften Dialog“ ermöglichen könnten.

Das Militär ist weniger geschlossen als es sich darstellen möchte

Was mag den neuen Regierungschef Thein Sein, viele Jahre ein führendes Mitglied der Militärjunta, veranlasst haben, einen solchen Kurswechsel zu initiieren? Offensichtlich ist Thein Sein entschlossen, sich klar von der früheren Militärherrschaft und damit auch von seiner eigenen Vergangenheit abzugrenzen, um sich als Erneuerer und Reformer des Landes zu profilieren. Als geschultem Militär ist ihm bewusst, dass dies ein hoch riskantes Unterfangen ist, bei dem man nur Erfolg haben kann wenn man mit großem Tempo und Elan in die Offensive geht.

In der Bevölkerung kann er dafür mit großer Unterstützung rechnen. Nicht nur für die Masse der Bauern, sondern auch für viele kleine und mittlere Gewerbetreibende, die nicht über gewinnträchtige Beziehungen zu dem Herrschaftsapparat verfügen, bedeutet die Abkehr von der bisherigen Militärherrschaft eine Erweiterung ihrer wirtschaftlichen wie auch politischen Handlungsspielräume. Aber auch das Militär zeichnet sich nicht durch jene Geschlossenheit aus, die es nach außen zu vermitteln versucht. Mit dem 2004 erfolgten Sturz des Generals und Geheimdienstchefs Khin Nyunt, der eine Öffnung des Landes und einen Dialog mit der Opposition propagiert hatte, wurden diese Konflikte auch nach außen deutlich. Viele seiner Anhänger, die damals ihre führenden Positionen verloren hatten, können sich daher von einer Politik, die Ideen ihres früheren Mentors aufgreift, eine erneute Aufwertung ihrer eigenen Position versprechen.

Lesen Sie auf Seite 2: Unterstützung von außen ist möglich

Dennoch stehen einem Erfolg der sich abzeichnenden Reformpolitik schwer wiegende Hindernisse entgegen. Das bisherige System hat nicht nur der Führungsspitze, sondern auch Machthabern auf der mittleren und unteren Führungsebene beträchtliche Privilegien verschafft. Von der Öffnung dieses Systems und größerer Transparenz hätte dieser Personenkreis nur Nachteile zu befürchten, die er nicht widerstandslos hinnehmen wird. Noch schwerer wiegen die Waffenstillstandsvereinbarungen des alten Regimes mit den Gruppierungen der ethnischen Minderheiten, immerhin ein Drittel der Bevölkerung. Diese Abkommen sicherten ihnen weitgehende Autonomie und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu; letztere nutzte man häufig für kriminelle Machenschaften wie den Handel mit Drogen. Eine Eingliederung in einen demokratisch kontrollierten Staatsverband würde diese kriminellen Handlungen empfindlich beeinträchtigen. Das Wiederaufflamen der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und den Verbänden der ethnischen Parteien zeigt, welche Interessenskonflikte hier auf dem Spiel stehen.

Nicht zuletzt gibt es strukturelle Defizite, die eine Überwindung der nunmehr fast 50 Jahre währenden Militärherrschaft erheblich erschweren. Birma verfügt über beträchtliche natürliche Ressourcen, die aber nicht für den Aufbau einer eigenen Industrie genutzt wurden. Hohe Rohstoffexporte tragen zwar nominell zu einem ansehnlichen Wirtschaftswachstum bei, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Land weit hinter der wirtschaftlichen Entwicklung seiner Nachbarländer zurückgeblieben ist. Will man dies ändern, sind umfassende Infrastrukturmaßnahmen notwendig, die wiederum eine große Zahl gut ausgebildeter Fachkräfte erfordern. Da in den vergangenen zwei Jahrzehnten der Bildungssektor sträflich vernachlässigt und eine Reihe von weiterführenden Bildungseinrichtungen geschlossen wurde, fehlen  nahezu zwei Generationen an Facharbeitern, Ingenieuren, Managern und Verwaltungsexperten.

Gerade auf diesem Gebiet der Aus- und Weiterbildung ergeben sich daher sehr gute Möglichkeiten für ein Engagement der westlichen Länder, mit dem die in Birma angestoßenen Veränderungen aktiv unterstützt werden könnten. In ihrer gemeinsamen Position zu Birma subsummierte die EU Erziehung ebenso wie Gesundheitsfürsorge unter „humanitäre Hilfe“, die auch ohne Aufhebung der Sanktionspolitik geleistet werden kann. Ausbildung von Fachkräften und universitäre Kooperation sind daher auch schon heute möglich.

Weitere Unterstützungsmaßnahmen über die  im Land tätigen Unterorganisationen der UN oder dem IMF laufen an. Die internationalen Hilfsleistungen nach dem Wirbelsturm Nargis 2008 haben gezeigt, wie groß die Lernbereitschaft sowie die Organisationsfähigkeit vor Ort sind. Sicherlich ist es notwendig, die Regierung Birmas aufzufordern, an dem neuen Kurs konsequent festzuhalten und mutig weitere Schritte zu gehen. Doch solche Aufforderungen werden nur dann auch als Ermutigungen verstanden werden, wenn sie durch konkrete Hilfe und stärkere politische Kooperation begleitet werden.

Gerhard Will forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik zu Südostasien und insbesondere zu Myanmar. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Beitrag erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik „Kurz Gesagt“.

Gerhard Will

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