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Meinung: Nicht die gute amerikanische Art

Die Rettung der „Columbia“-Crew wäre vielleicht möglich gewesen, hätte die Nasa richtig reagiert

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Was macht ein Autofahrer, dem bei Vollgas ein 40 mal 50 Zentimeter großer Brocken in die Seite seines Fahrzeugs prallt? Er wird höchst wahrscheinlich erst einmal nachsehen, was passiert ist. Die USWeltraumbehörde Nasa sieht das jedoch offenbar gelassener: Einen Tag nach dem „Columbia“-Start am 16. Januar sahen Techniker auf einer Hochgeschwindigkeits-Videoaufnahme einen leuchtenden Brocken, der an den Hitzeschild der linken Tragfläche prallte. Die Wucht des Aufschlages ließ das unbekannte Objekt zu Pulver zerbersten. Doch dann war bei der Nasa erst einmal Wochenende. Erst am folgenden Montag begann ein Team von Experten, den Vorfall zu analysieren. Viel Kopfzerbrechen machten sie sich nicht: Schon öfter waren Teile der Schaumstoff-Isolierung vom Zusatztank abgebrochen, schon öfter hatte ein Shuttle ein paar Kacheln des Hitzeschilds verloren. Noch nie war etwas passiert. Am 24. Januar gaben die Techniker Entwarnung.

Neun Tage später rast das älteste Schiff der Shuttle-Flotte planmäßig mit gut 20 000 Stundenkilometer auf die Erde zu. In diesem kritischen Moment meldet die „Columbia“ eine merkwürdige Erwärmung am linken Fahrwerk, auch Sensoren am linken Flügel zeigen Temperatursteigerungen an. Kurz darauf fallen die ersten Sensoren aus. Zugleich lässt irgend etwas am linken Flügel den Luftwiderstand dramatisch ansteigen – möglicherweise ein Loch im Hitzeschild? Der Bordcomputer versucht, die Schieflage durch Rudersteuerung auszugleichen. Als das nicht mehr ausreicht, zündet er zwei Raketentriebwerke, um den Schlingerkurs zu beenden – ein in dieser Flugphase nicht vorgesehenes Manöver. Sechzig Sekunden später gerät die Columbia ins Trudeln und zerschellt an der Atmosphäre wie an einer Betonwand.

Experten außerhalb der Nasa fragen, warum der Schaden während der mehr als zweiwöchigen Flugzeit nicht untersucht wurde. Hochleistungsteleskope könnten bei guten Wetterbedingungen die etwa 15 mal 15 Zentimeter großen Kacheln einzeln fotografieren. Die sind zwar extrem hitzebeständig, ihre Oberfläche lässt sich jedoch eindrücken wie Styropor – ein mit hoher Geschwindigkeit einschlagender Brocken könnte deshalb großen Schaden anrichten.

Die Nasa wiegelt ab – und schlingert wie die Columbia in ihren letzten Sekunden: Programmchef Ron Dittemore erklärte, er könne sich keinen so gravierenden Schaden vorstellen, dass man deshalb das Shuttle aufgegeben hätte; Fotos seien daher überflüssig gewesen. Die Entscheidung beruht auf Schätzungen des Gewichts, der Größe und des Einschlagwinkels des vermutlich abgebrochenen Isoliermaterials. Wenn es jedoch etwas Schwereres war, etwa ein Eisbrocken, stimmt die ganze Rechnung nicht mehr, wie Fachleute anmerken. Auch dieses Argument lässt die Nasa kalt: An Bord sei keine Reparaturausrüstung für die Hitzekacheln gewesen und das Schwestershuttle „Atlantis“ hätte erst nach drei Wochen zu einem Rettungsversuch starten können.

Den benötigten Silikonkleber und ein paar Reservekacheln wird die „Atlantis“ bei ihrem nächsten Flug wohl einpacken. Die „Columbia“ hatte übrigens noch Sauerstoff für fünf Tage an Bord: Nach der Entdeckung des Schadens wären also genau drei Wochen Zeit gewesen. Schwer zu sagen, wie groß die Chance einer erfolgreichen Rettung war, aber man hätte es – ganz amerikanisch – mit aller Kraft versuchen sollen.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität in Halle. Foto: J. Peyer

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