Von Matthias Thibaut: Paris in London
Den Liberalen sei Dank: Großbritannien wird eine schwache Regierung bekommen
Stand:
Seit der noch amtierende Labour-Chef Gordon Brown am Montag in die Downing Street trat und mit einer Rückzugserklärung den Weg für Koalitionsverhandlungen Labours mit den Liberaldemokraten frei machte, wird deutlich, wie groß die zentrifugalen Kräfte sind, die die Unterhauswahl in Großbritannien freigesetzt hat. Die Aussicht auf eine „stabile und dauerhafte“ Regierung, die das Land mit seiner prekären Haushaltslage dringend braucht, zerrinnt den Politikern, die sie versprechen, zwischen den Fingern. Die von den Liberaldemokraten versprochene „neue Politik“ hat keinen guten Start – wie immer sich die Parteien nun auch zusammenraufen.
Liberalen-Chef Nick Clegg versprach Konsens, Kompromiss und Transparenz, sollte er in einem „Hung Parliament“ ohne Mehrheiten zum Königsmacher werden. Stattdessen lieferte er Streit, Erpressung und Mauschelei. Clegg ist ein Paris im Dilemma der Wahl. Statt sich schnell zwischen einer der beiden schon etwas ältlichen Damen – Labour oder Tories – zu entscheiden, löste er einen unwürdigen Wettstreit um seine Gunst aus und ist nun auf dem besten Wege, es sich mit beiden zu verderben. Hinter dem Rücken der Tories begann er Verhandlungen mit Labour. Nun muss er sich Doppelspiel und Unehrlichkeit vorwerfen lassen. Die „Libdems“ sind hin- und hergerissen zwischen linken und liberalen Neigungen, sie benehmen sich wie eine Protestpartei, die nur ein wirkliches Thema hat: den Wunsch nach einem anderen Wahlrecht. Bei den Tories, vor allem aber auf den Labour-Hinterbänken, wuchsen die Zweifel an der Bündnisfähigkeit der Libdems.
Aber nicht nur deshalb hätte eine Lib-Lab-Regierung enorme Probleme. Mit ihrem Mehrheitswahlrecht wählen Briten nicht Parlamente, sondern Regierungen. Sie erwarten, dass ein Premier als siegreicher Parteiführer aus einem Wahlkampf hervorgeht. Browns Nachfolger wäre der zweite Premier in Folge, der ohne ein solches Wahlmandat regiert. Dann wäre diese Regierung immer noch auf die Nationalisten aus Schottland und Wales angewiesen, die auch im Unterhaus mitbestimmen dürfen, das gleichzeitig als englisches Regionalparlament fungiert. Sie freuen sich schon darauf, mit ihren Sperrstimmen alle aus London verfügten Sparmaßnahmen an die Engländer zurückzuverweisen.
Ein Blick auf die Wählerkarte zeigt den Zündstoff: Die Engländer haben mit großer Mehrheit Tory gewählt und haben keine Lust, sich von schottischen Quertreibern regieren zu lassen. Diesmal war es noch das alte, drakonische Mehrheitswahlrecht, das den Briten diesen komplizierten Wahlausgang bescherte – zum ersten Mal seit 36 Jahren. Aber viele sehen diese Regierungsbildung als Probelauf für das, was die Liberalen nun für immer erzwingen wollen: eine Zersplitterung der politischen Kräfte im Namen der wahlarithmetischen Fairness und einen ewigen Zwang zu Koalitionen. Cleggs Manövrieren hat denen, die in einem Referendum gegen eine solche Wahlrechtsänderung stimmen wollen, die besten Argumente geliefert.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: