Meinung: Parteisoldatenkanonaden
Jenseits aller Folklore: Beim Mindestlohn sind Union und SPD nicht so weit auseinander
Stand:
Es gibt in der großen Koalition allerlei Scheingefechte – wilde Schlachten mit wüsten Worten um Dinge, über die sich in Wahrheit die Kontrahenten so uneinig gar nicht sind. Es gibt ernste Differenzen. Und es gibt Themen, für die gilt irgendwie beides. Der Streit um Mindest-, Kombi-, Niedriglöhne gehört in diese dritte Kategorie. Das macht Fortschritte auf diesem Feld so schwierig.
Fangen wir mit den ernsten Differenzen an. Es gibt sie, aber sie sind geringer, als der Pulverdampf vermuten lässt. Einig sind sich Union und SPD im Prinzip darin, dass in Deutschland niemand auf Hungerlöhne angewiesen sein sollte. CDU und CSU begründen das mit etwas „marktwirtschaftlicherem“ Klang – wer arbeite, müsse am Ende mehr Geld haben als der, der nicht arbeite –, bei der SPD kommt das Gleiche etwas „sozialer“ daher. Aber jenseits der Parteifolklore sind die Ziele ähnliche.
Bei den Mitteln herrscht auf den ersten Blick gewaltiger Streit: Hie Mindestlohn, da Kombilohn. Die SPD treibt diesen Eindruck auf die Spitze mit ihrer Unterschriftenkampagne für den Mindestlohn – nebenbei, eine merkwürdige Idee für eine Regierungspartei; kippt der Vizekanzler demnächst waschkörbeweise Unterschriftenlisten vors Kanzleramt, bevor er zur Koalitionsrunde einfährt? Aber auch CDU und CSU tönen ihr „Mindestlohn niemals“ viel, viel lauter, als es die Sache rechtfertigt.
Schaut man nämlich genauer auf die Realität wie auf die Beratungen der einschlägigen Koalitionsarbeitsgruppe, löst sich die ideologisch hochgehaltene Eindeutigkeit rasch in verwirrende Vielfalt auf. Von einem einzigen Mindestlohn – sozusagen dem Würdeminimum des arbeitenden Menschen – ist da zum Beispiel überhaupt keine Rede. Die Idee taugt ja auch nur für Gewerkschaftsdemos und SPD-Wahlkampfstände. Im wirklichen Leben propagiert der SPD-Arbeitsminister Müntefering je einen Mindestlohn für jede Branche, der sich aber auch nicht an Würde orientiert, sondern am Tarifvertrag. Die Methode funktioniert bloß nicht für Jobs, für die es keinen Tarifvertrag gibt – oder zu viele.
Auf der anderen Seite ist sowohl Müntefering als auch der Union klar, dass es Tätigkeiten gibt, für die einfach niemand einen anständigen Lohn zahlt – etwa, weil das Angebot von Schwarz- oder Billigarbeitern die Preise drückt. Leider sind das oft Dienstleistungsjobs mit Boom-Potenzial. Die an sich einleuchtende Lösung, solche Minilöhne von Staats wegen aufzustocken, stößt auf das Problem der Abwärtsspirale. Schon sind Fälle bekannt, in denen Unternehmer Löhne immer weiter senken, weil Vater Staat ja die Differenz bis Hartz-IV-Niveau sowieso zahlt. Woraus sich logisch ergibt: Kombilohn setzt eine Art Mindestlohn voraus, soll er nicht in Satire enden.
Der Pulverdampf verdeckt all dies. Das ist ja auch sein Zweck. Aber die Parteisoldatenkanonaden erschweren Lösungen. Und das ist dann gar nicht mehr so lustig.
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