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Meinung: Schöne Verfassung

Zugegeben: Die Mehrheit der Bundesbürger trägt das Grundgesetz nicht in der Handtasche mit sich herum. Aber möglich sollte es sein!

Zugegeben: Die Mehrheit der Bundesbürger trägt das Grundgesetz nicht in der Handtasche mit sich herum. Aber möglich sollte es sein! Eine Justizministerin hat sich offensiv dazu bekannt, Wolfgang Thierse wirbt dafür, nicht ohne Erfolg. Es gibt sogar Journalistinnen, die mit dem Grundgesetz in der Handtasche herumlaufen – und sei es nur, um Herrn Thierse oder anderen Politikern jederzeit aus dem Artikel 5 vorlesen zu können. Eine Zensur findet nicht statt. Solche Sätze sind nicht nur bedeutend. Sie sind auch schön, weil sie einfach, knapp und klar sind. Nach über 50 Änderungen des Grundgesetzes steht fest: Stets wird sie hässlicher, die Verfassung, wenn ergänzt, neu formuliert und eingefügt wird. Kurz vor Abschluss der Föderalismuskommission stellt sich sogar die Frage, ob das Grundgesetz im Handtaschenformat diese Reform überleben wird. Der Eifer, mit dem die Ministerpräsidenten in Grundgesetzartikeln jeden Cent und jeden Euro festhalten wollen, der ihnen je in irgendeiner Verhandlung zugesichert wurde, lässt Liebhaber des Grundgesetzes schaudern. Denn das Kleingedruckte ist der Feind einer Verfassung, die nicht nur von Juristen verstanden und gelesen werden will. Vier unverständliche Absätze stehen seit 1993 im Grundgesetz, wo es vorher schlicht hieß: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Ein Befürworter des neuen Asylrechts, nämlich Otto Schily, sagte damals: verfassungsästhetisch eine Katastrophe! Die Wiederholung droht, in großem Maßstab. tib

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