Meinung: Sie haben Knut
Die Zoohaltung von Eisbären ist fragwürdig
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Alexander S. Kekulé Der Bär versteht die Welt nicht mehr. Gerade wurde er gehätschelt und gefeiert, alle haben gesagt, wie süß er ist. Bei Kindern war das klar, die sind sowieso alle in Lars verliebt, den kleinen Eisbären aus dem Bilderbuch. Aber auch die Erwachsenen haben sich vor Zuneigung überschlagen, als Knut seine putzigen Purzelbäumchen machte. Herr Dörflein, sein Pfleger und Lebensretter, bekommt aus lauter Dankbarkeit von einem Luxushotel täglich Frühstück ins Bärengehege geliefert. Die berühmte Annie Leibovitz war auch schon da und hat Fotos für eine Klimakampagne gemacht. Jetzt wird „Cute Knut“ seine Artgenossen am Pol retten und weltberühmt werden. Der kleine Held ist der Liebling aller Berliner.
Doch dann kamen plötzlich diese Menschen mit den grauen Gesichtern und den spaßlosen Stimmen, die sich Tierschützer nennen. Sie sollen gesagt haben, Knut sei ein Problembär und müsste sterben, so wie einst Bruno der Braunbär. Weil das humaner sei für das Tier. Sonst würde sich Knut nämlich an den Menschen gewöhnen und vergessen, dass er ein Bär ist. Dann wäre er lebenslang verhaltensgestört, sehnte sich nach seinem Ziehvater und wollte mit anderen Eisbären nichts mehr zu tun haben. Das Raubtier werde nicht „artgerecht“ aufgezogen, was gegen das Tierschutzgesetz verstoße. So zumindest haben es viele Zeitungen berichtet.
Vergleiche wurden gezogen mit einem Lippenbär im Leipziger Zoo, der unlängst genau aus diesem Grund nicht von Hand aufgezogen, sondern getötet worden ist. Allerdings wurde der Leipziger Zoodirektor dafür prompt angezeigt. Offenbar wissen nicht nur Zoobären, sondern auch selbst ernannte Tierschützer manchmal nicht genau, zu welcher Seite sie gehören. Was der Eisbär wirklich braucht, weiß dagegen jedes Kind: Lars aus dem Bilderbuch spielt am liebsten im Schnee oder schaut auf das weite Meer hinaus. Auch echte Eisbären sind an die arktische Umwelt perfekt angepasst. Sie schwimmen meilenweit in eiskaltem Wasser und lieben Temperaturen um 30 Grad Minus. In ihrer natürlichen Umgebung fasten sie manchmal ein halbes Jahr und nehmen dann binnen Wochen wieder einige hundert Kilo zu. Auf der Jagd nach Ringelrobben und anderer fetter Beute legen sie riesige Strecken zurück, im Jahr wandert ein Eisbär um die 15 000 Kilometer.
Weil es in Eis und Kälte kaum Krankheitserreger gibt, sind Eisbären gegen Infektionen besonders empfindlich. Das ist einer der Gründe, warum die Handaufzucht im Zoo so selten klappt – auch Knuts Bruder starb an einer Darminfektion.
Der Eisbär ist eine der Tierarten, bei der die Zoohaltung an sich besonders fragwürdig ist. Das größte Landraubtier der Erde „artgerecht“ gefangen zu halten, ist praktisch unmöglich. Es muss deshalb durchaus hinterfragt werden, warum jeder noch so kleine Zoo seine eigene Eisbärenattraktion braucht. Das ist allerdings noch lange kein Grund, den Berliner Kuschel-Knut zu keulen, auch wenn er wohl ein ziemlich verhaltensgestörter Geselle werden wird – genauso wie alle anderen Eisbären im Zoo. In ihre natürliche Umgebung ausgesetzt, würden sie ausnahmslos verhungern. Das gilt aber für gesäugte Zoobären genauso wie für die etwa 34 bislang erfolgreichen Handaufzuchten. Deren Erfahrungen nach wird Knut auch seinen menschlichen Ziehvater später nicht vermissen, zumal erwachsene Eisbären extreme Einzelgänger sind.
Es gibt gute Argumente, Eisbären und andere Großtiere überhaupt nicht mehr in zoologischen Gärten zu halten. Andererseits schafft, besonders bei Kindern, die unmittelbare Begegnung mit Wildtieren einen wichtigen emotionalen Bezug zur Kreatur: Zootiere werden letztlich eingesperrt, damit der Mensch Verantwortung für seine Artgenossen draußen empfindet. So gesehen ist Eisbär Knut wirklich ein Held, wenn auch ein tragischer.
Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer
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