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Meinung: Trialog: Europa macht uns klüger

Groß waren die Sorgen vor dem Wechsel von der D-Mark zum Euro, und dann hat alles ganz reibungslos geklappt. So ähnlich wie zwei Jahre zuvor die Datumsumstellung der Computer auf das neue Jahrhundert.

Groß waren die Sorgen vor dem Wechsel von der D-Mark zum Euro, und dann hat alles ganz reibungslos geklappt. So ähnlich wie zwei Jahre zuvor die Datumsumstellung der Computer auf das neue Jahrhundert. Wieder erweisen sich Chancen größer als Ri-siken, wenn Neues beherzt angenommen und Forschritt verantwortlich gestaltet wird. Auch wenn also manche Aufregung unbegründet war, sollten wir doch nicht überse-hen, welch bedeutsamen Einschnitt die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung bildet und welche Chancen in der Einigung Europas stecken.

Und Europa hilft uns zu erkennen, wo wir richtig und wo wir falsch liegen. Keine Ausrede ist mehr möglich: Was wirtschaftliches Wachstum anbetrifft, ist Deutschland Schlusslicht in Europa, und erstmals denkt man in Brüssel darüber nach, wegen Gefährdung der Stabilitätskriterien Deutschland einen "blauen Brief" zuzustellen. Daran sind nicht andere Schuld, das müssen wir selbst ändern, und das können wir auch ändern.

Der Vergleich mit anderen zeigt, dass wir trotz aller Probleme noch immer auf hohem Niveau leiden. Wir brauchen also nicht gleich zu verzweifeln. Probleme ernst nehmen, um sie zu lösen, aber auch Gelassenheit, weil am Ende doch nichts so heiß gegessen wie gekocht wird - mit beidem zusammen können wir uns eine Menge zu-trauen. Und so können wir offen bleiben für Vielfalt im eigenen Land und für Dialog und Austausch mit Partnern in Europa und in der Welt.

Am kommenden Mittwoch wird der Bundestag über den Import von Stammzellen zu Forschungszwecken diskutieren. Je näher die Entscheidung rückt, um so heftiger ist die öffentliche Debatte geworden. Bedenklich aber scheint mir, dass der Hinweis dar-auf, was zu diesen Fragen in anderen europäischen Ländern gedacht und entschieden wird, von vielen kaum noch für zulässig gehalten wird. Wir müssen darauf achten, dass aus der Begrenztheit unserer Sicht nicht die Versuchung zur Überheblichkeit wird. Gewiss muss jeder sich selbst seine Meinung bilden, und von der Verantwortung der Entscheidung kann die Haltung anderer nicht entbinden. Aber für Selbstgewissheit wie für Zweifel schadet die Einsicht nicht, dass andere nicht weniger ernsthaft und nicht mit geringerer Gewissensanstrengung nach dem richtigen Weg suchen und zu anderen Ergebnissen kommen.

Ohne Toleranz und Pluralismus ist Europa nicht denkbar. Menschenwürde und unver-äußerliche Menschenrechte sind das Ergebnis europäischer Geschichte und Kultur. Wir sollten gemeinsam für sie eintreten, und dazu gehört der Respekt vor der Meinung der anderen. Wer aus der Unantastbarkeit der Würde des Menschen folgern wollte, dass es nur eine richtige Entscheidung geben kann, übersieht, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist, dass also unterschiedliche Meinungen notwendig zu Freiheit und Menschenwürde gehören. Der Blick über die Grenzen, die Erweiterung der Diskussion zu einer europäischen kann uns davor bewahren, die ganze Bandbreite möglicher Lösungen und ihre Legitimität zu verkennen und den eigenen Weg wieder einmal als den einzig gangbaren vorschreiben zu wollen. Das gilt für die bioethische Debatte genauso, wie es sich in ganz anders gelagerten Fragestellungen von europäischer Tragweite - wie zum Beispiel bei der gemeinsamen Währung - bereits als richtig erwiesen hat. Einheit und Vielfalt zugleich, das ist europäisches Erbe und Grundlage für eine gute Zukunft.

Wolfgang Schäuble ist CDU-Präsidiumsmitg

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