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Problemkieze: Und wo ist Wowereit?

Verglichen mit Rotterdam oder London geht es Berlin gut. Noch kann Berlin eine Desintegration aufhalten, die für alle Bewohner der Stadt unkalkulierbar, teuer und gar nicht sexy wäre. Funktionieren kann das nur, wenn als Chance für die ganze Stadt verstanden wird, was in die sozialen Brennpunkte investiert wird.

Berlin hat es schwer. Die Stadt hat sie immer gleich doppelt und dreifach, die Probleme der städtischen Ballungsräume in Deutschland. Schlecht integrierte Migranten, Arbeitslose, Alleinerziehende. Das weiß man hier, man lebt damit, und die meisten gar nicht schlecht. Denn verglichen mit Rotterdam oder London geht es Berlin gut. Ganze Stadtteile, die kulturell, sozial und rechtlich ein gefährliches Eigenleben führen, kennt Berlin nicht. Genauer: noch nicht. Das Wachstum der Segregation ist in manchen Straßenzügen von Neukölln oder Wedding-Moabit täglich zu besichtigen. Aber noch ist kein Bezirk verloren.

Das Stadt-Monitoring aus dem Jahr 2008 weist aus, dass die soziale Spaltung den Anstrengungen davonläuft, sie zu bewältigen. Eine Erfahrung, die bundesweit gezogen werden musste, als 2009 das Programm „Soziale Stadt“ nach zehn Jahren ausgewertet wurde. Im Anschluss an dieses Programm hat der Senat jetzt fünf schwierige „Aktionsräume“ in Berlin definiert, in die besondere Energie, auch zusätzliches Geld fließen soll. Der Ansatz ist richtig, erst recht der Schwerpunkt auf die Bildung. Noch kann Berlin eine Desintegration aufhalten, die für alle Bewohner der Stadt unkalkulierbar, teuer und gar nicht sexy wäre. Funktionieren kann das nur, wenn als Chance für die ganze Stadt verstanden wird, was in die sozialen Brennpunkte investiert wird.

Aber das hat die Präsentation durch den Senat fast unmöglich gemacht. Zwei Senatorinnen haben geradezu vorexerziert, was ihre Verwaltungen künftig nicht mehr tun sollen. Sie sind getrennt marschiert. Nach alter Manier haben sich die politischen Zuständigkeiten vor den Bürgern aufgebaut. Doch alle positiven Erfahrungen der letzten Jahre lehren: Integriertes Handeln von Behörden, Bezirken, Senat ist ein Schlüssel für Fortschritte in den absteigenden Zonen der Stadt. Nicht die Bürger sollen sich durch das Dickicht der staatlichen Zuständigkeiten schlagen; die politischen Instanzen müssen sich unterhaken, um die Probleme der Bürger anzupacken.

Das ist kein Gedankenspiel von Verwaltungstheoretikern. Integriertes Handeln rückt Eltern, Heranwachsende, Transferempfänger von Neukölln oder Wedding ins Zentrum, weil diesen Stadtteilen nicht zu helfen ist, wenn ihre Bürger bloßes Objekt staatlicher Hilfe bleiben. Bessere Kitas oder Schulen kosten Geld. Bessere Sprachkenntnisse oder Schulabschlüsse gibt es aber nur, wenn die Betroffenen selbst sie wollen. Die Neuköllner Stadtteilmütter oder die Campus-Rütli- Schüler zeigen exemplarisch, wie Fortschritt möglich ist. „Aktionsräume“ müssen aktivieren. Nur so können sie in den Problemkiezen nützen, und nur so werden sie Akzeptanz in der ganzen Stadt finden.

Ganz schlecht also, wenn die verunglückte Vorstellung einen Eindruck bestärkt, der ohnehin um sich greift: dass nämlich Geld und Mittel in ein Fass ohne Boden geworfen werden, in neue Projekte, die am Ende doch wieder beweisen, dass alle Mühe vergeblich ist. Die Berliner Lebenswirklichkeit aber kennt viele unbeachtete Beispiele für das Gegenteil. In Neukölln, Kreuzberg, Wedding kann man eben auch besichtigen, dass Menschen sich nicht aufgeben, weil sie von der Stadt nicht aufgegeben werden, die ihnen in Gestalt von Schulleitern, Quartiersmanagern, Stiftungen und Bezirksbürgermeistern gegenübertritt, deren Frustationstoleranz größte Bewunderung verdient.

Berlin geht es so gut schlecht, dass sich, wer will, vom Leib halten kann, was in dieser Stadt in die Rubrik „arm“ fällt. Für das Gegenteil müsste, allen voran, der Regierende Bürgermeister einstehen. Doch wo ist Woworeit? Wenn sein Thesenpapier ernst gemeint ist, wenn Berlin wirklich Modellstadt werden soll, dann muss Wowereit der erste Anwalt der Sozialarbeiter, Schulleiter, Polizisten der schwierigen Stadtteile werden. In den fünf Problemzonen gibt es nicht nur die meisten Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfänger und Schulabbrecher. Sie sind Spitze auch bei der Kinderzahl. Sie sind, so oder so, Berlins Zukunft.

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