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Kolumne: Wissenshunger: Voll auf die Nuss

Das auffallendste am Beginn eines neuen Jahres ist, wie wenig daran neu ist. Wenn Sie wie ich sind, haben Sie mit Freunden gefeiert, mit denen Sie schon andere Jahre eingeläutet haben.

Sie haben mit dem gleichen Sekt angestoßen, die gleichen Böller angezündet. Ich habe mir sogar die gleichen Vorsätze gemacht wie im vergangenen Jahr.

Die reinigende Zahlenmagie, die die Stunde Null am 1.1. verspricht, ist eine Illusion. Auch die Stiftung Warentest schleppt eine Altlast ins neue Jahr. Im November hatte sie in einem Test verschiedener Nussschokoladen die Sorte „Voll Nuss“ der Firma Ritter Sport mit viel Tamtam durchfallen lassen. Der Grund: Ritter Sport gebe vor, nur natürliche Zutaten zu benutzen, tatsächlich sei der Aromastoff Piperonal aber chemisch hergestellt. Nun streiten sich die beiden vor Gericht.

Piperonal ist ein kleines Molekül, dass nach Vanille schmeckt und in geringen Mengen zum Beispiel in Tahiti-Vanille oder Robinien vorkommt, aber auch in Pfeffer oder Dill. Der Stoff kann auch chemisch hergestellt werden, etwa aus dem Naturstoff Safrol. Diesen zweiten Weg habe Ritter Sport gewählt, behauptet die Stiftung Warentest. Den Stoff in ausreichenden Mengen direkt aus Pflanzen zu gewinnen, sei viel zu aufwendig und teuer. Ritter Sport streitet das ab. Das Unternehmen Symrise, das den Stoff liefert, habe garantiert, dass es sich um einen „natürlichen Aromastoff“ handelt.

Zur Herstellung des Piperonals würden keine chemischen Verfahren genutzt, nur physikalische, wie z.B. Extraktion mit Wasser oder Alkohol oder Destillation, verkündet Ritter Sport stolz. Das ist als würde ich ankündigen, in Zukunft Linsensuppe nur noch mit der Gabel zu essen. Es ist aufwendiger und ein bisschen ungewöhnlich, ändert an der Suppe aber rein gar nichts. Chemisch lässt sich nicht unterscheiden, ob Piperonal direkt aus einer Pflanze gewonnen oder aus einem anderen Stoff hergestellt wurde. Dem Verbraucher kann es egal sein.

Warum also die ganze Aufregung? Stein des Anstoßes ist allein die Tatsache, dass Ritter Sport sich 2008 auf die Tafeln geschrieben hat, nur noch „natürliche“ Aromen zu nutzen. Und das ist das eigentlich Ärgerliche: Dass ein Unternehmen eine sinnfreie Unterscheidung zwischen „künstlich“ und „natürlich“ nutzt, um Kunden zu ködern und für diesen Unfug nach eigenen Angaben Mehrkosten in sechsstelliger Höhe in Kauf nimmt. Das ist teure Volksverdummung. Schließlich sind „künstliches“ und „natürliches“ Piperonal identisch. Und die meisten Giftstoffe, um die wir uns Sorgen machen sollten, stammen aus der Natur.

Doch so mancher Kunde schwelgt gerne in der Vorstellung, dass zwar alles andere industrialisiert wurde, die Zutaten für seine Lebensmittel aber per Hand gepflückt und dann von glücklichen Bäuerinnen im Holzbottich zusammengerührt werden. Und manche Verbraucherschützer sehen es offenbar als ihren Job an, den Verbraucher vor der Erkenntnis zu schützen, dass „natürlich“ nicht gleich gut und „künstlich“ nicht immer schlecht ist. Das ist das eigentlich ärgerliche.

Apropos Ärger. Das erinnert mich an meinen guten Vorsatz fürs neue Jahr: Ich wollte mich über diesen Unsinn nicht mehr so aufregen.

Nun gut, dann eben nächstes Jahr.

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