Meinung: Vom Jammern und Abschiednehmen
Wir betrachten die Dinge mit alten und jungen Augen
Liebe Kerstin Kohlenberg,
„Jammertal Ost“ titelte der „Spiegel“ letzte Woche. Und Otto Schily, an dem ich mit solidarischer Genugtuung bemerke, dass Altersstarrsinn Standhaftigkeit, Rechthaberei Recht haben bedeuten kann, unser Innenminister also, konterte, wir sollten Deutschland nicht zum „Oberjammergau“ verkommen lassen. Jammern wir also zuviel? Nun bedeutet das biblische Bild von der Erde als Jammertal ja nicht, dass die Menschen zu viel jammern, sondern dass es zu viele Sachen gibt, über die man jammern muss. Mit anderen Worten, denen des „Faust“: „Der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an.“ Gemeint ist das Elend. Ist also das Glas halbleer oder ganz leer? Und ist Jammern eine Einsicht oder eine schlechte Angewohnheit von Alten? Jedenfalls geht unsere wöchentliche Streiterei zu Ende. Und das ist ein Jammer!
Stets Ihr Hellmuth Karasek
Lieber Hellmuth Karasek,
Zuerst denkt man ja lange Zeit, nee, also mit dem Jammern fange ich nicht an. Ich nicht! Dann sagt man einige Jahre, also ich bin kein typischer Jammerer, ich jammere nur auf Partys, ich bin ein Geselligkeitsjammerer, könnte aber jeder Zeit aufhören, 100-prozentig, im Moment macht es jedoch noch zu viel Spaß. Außerdem jammern alle meine Freunde. Irgendwann jammert man dann zum ersten mal zu Hause, auf dem Balkon, dann am Fenster und irgendwann macht man auch die Fenster nicht mehr auf, jammert schon vor dem Frühstück, bekommt kalte Finger und schlechte Haut, fühlt sich nicht gut und hat jetzt doppelt Grund zu jammern, der Husten, das Lungenrasseln, der Mundgeruch. Und dann sagt der Arzt, also mein Lieber, wenn Sie nicht schleunigst aufhören zu jammern, dann sehe ich schwarz. Ist Jammern also Einsicht oder schlechte Angewohnheit? Es ist die Einsicht, dass eine schlechte Angewohnheit abhängig machen kann. Leben Sie wohl lieber Herr Karasek, und rauchen Sie nicht so viel!
Ihre Kerstin Kohlenberg
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