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Brasiliens amtierender Präsident Jair Bolsonaro.

© AFP / Foto: AFP/Evaristo Sa

Wahl in Brasilien: Auch bei einer Niederlage wird Bolsonaro das Land nicht aus dem Würgegriff lassen

Ganz gleich, wie Brasilien wählt, der amtierende Präsident wird nicht leise verschwinden - im Gegenteil. Ein Gastbeitrag.

Von James N. Green

Stand:

In Brasilien finden aktuell die wichtigsten Präsidentschaftswahlen in der Geschichte des Landes statt. Am 30. Oktober entscheiden die Wählerinnen und Wähler, wer Präsident des bevölkerungsreichsten Landes Südamerikas und der viertgrößten Demokratie der Welt sein wird.

Sie urteilen aber auch über den Erfolg einer neuen globalen Bewegung der populistischen extremen Rechten, die in dem derzeitigen Präsidenten Jair Bolsonaro ihren nationalen Anführer und in dem Ex-Präsidenten Donald Trump ihren weltweit bekanntesten Vertreter hat.

Das politische Phänomen, das Bolsonaro und Trump verkörpern, trägt ein grundlegendes Merkmal: das Ausnutzen des demokratischen Prozesses, um ihn dann zu schwächen, so dass er unkenntlich und unfähig wird, die autoritären Auswüchse seiner Präsidenten einzudämmen. Sowohl Trump als auch Bolsonaro wurden per Volksabstimmung gewählt.

Haltlose Anschuldigungen

Beide regierten auf ähnliche Weise: Sie hetzten eine radikalisierte Basis auf, priesen den Schusswaffengebrauch, verbreiteten „Fake News“ und politische Desinformation, stellten Verschwörungstheorien auf und behandelten ihre politischen Gegner als Feinde und nicht als legitime Gegner. Beide haben die freie Presse in ihren jeweiligen Ländern untergraben und unseriöse und haltlose Anschuldigungen gegen ihre nationalen Wahlsysteme und Justizkontrollorgane erhoben.

Trump scheiterte mit seinem Putschversuch, der im Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 gipfelte. Bolsonaro versucht nun, an dem Punkt Erfolg zu haben, wo sein politischer Mentor gescheitert ist. Das Drehbuch ist bekannt: Er wird sagen, er habe die Wahl gewonnen, selbst wenn er verliert. Dann wird er alles daransetzen, die Stimmenauszählung zu stören, unbegründete Verdächtigungen auszusprechen und haltlose Gerüchte zu verbreiten.

Anhänger der Präsidenten Bolsonaro bei einem Wahlkampf-Auftritt.

© REUTERS / RICARDO MORAES

Die USA hatten Glück, dass ihr Militär Trumps Druck nicht nachgab, einen Staatsstreich durchzuziehen. In Brasilien indes kooptierte Bolsonaro aktive und pensionierte Generäle, die an seiner Regierung beteiligt waren und nun offen für ihn werben. Darüber hinaus hat er die Streitkräfte als Institution gebeten, eine „parallele Stimmenauszählung“ durchzuführen, obwohl diese Zuständigkeit in der Geschichte der brasilianischen Wahlen noch nie an das Militär delegiert wurde.

Bolsonaros Sieg ist nicht unmöglich

Es ist unwahrscheinlich, dass Bolsonaro die Wahl gewinnt, doch sein Sieg ist nicht unmöglich. In der ersten Wahlrunde am 2. Oktober belegte er mit etwas mehr als 51 Millionen Stimmen den zweiten Platz, d.h. mit 43,2 Prozent der Wählerstimmen. Der Gewinner der ersten Runde mit 57 Millionen Stimmen (48,4 Prozent) ist Luiz Inácio Lula da Silva, ein populärer Führer aus der Arbeiterklasse, der seine politische Karriere in der Gewerkschaftsbewegung begann und Brasilien zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten von 2003 bis 2011 regierte.

Der Abstand zwischen ihnen betrug 5 Prozentpunkte bzw. 6 Millionen Stimmen. Kein brasilianisches Forschungsinstitut rechnet mit einem Sieg Bolsonaros in der zweiten Runde, aber der Präsident sagt öffentlich, er werde gewinnen. Wenn nicht, wird er sehr wahrscheinlich behaupten, die elektronischen Wahlgeräte seien manipuliert worden.

Dass Bolsonaro trotz seiner Angriffe auf die Demokratie so viele Stimmen erhält, ist keine Überraschung. Das ist nichts Neues. Schon Trump hat bewiesen, dass undemokratische Politiker breite Unterstützung in der Bevölkerung genießen können. Diese neuen populistischen Führer profitieren von den Freiheiten, die die Demokratie gewährt, indem sie das System angreifen, das ihnen den Wahlerfolg beschert hat.

Untergrabene Gewaltenteilung

Sind sie erst einmal an der Macht, kontrollieren sie den Haushalt, verteilen politische Gefälligkeiten mit öffentlichen Geldern und nutzen ihre Basis im Parlament, um die Gewaltenteilung zu untergraben.

Ihr bevorzugtes Ziel ist die Justiz. In Brasilien geben Verbündete von Bolsonaro, wie sein Vizepräsident und jetzt gewählter Senator José Hamilton Mourão, bereits Interviews, in denen sie erklären, dass der Bolsonarismus in einer neuen Amtszeit plant, die Pensionsregelungen für die derzeitigen Mitglieder des Obersten Bundesgerichts zu ändern und die Zahl der Vakanzen zu erhöhen, um verbündete Richter zu ernennen und so den Widerstand gegen die Amtshandlungen der Exekutive zu schwächen.

Doch der Schaden entsteht nicht nur, wenn diese Führer ins Amt gewählt werden. In Brasilien hat, wie auch in den Vereinigten Staaten, eine extreme Rechte, die bei den Wahlen unterlegen war, immer noch eine enorme Mobilisierungskraft. Die falschen Anschuldigungen von Wahlbetrug, der Einsatz sozialer Netzwerke und die Verherrlichung von Schusswaffen haben zu politischer Gewalt geführt, die die Gesellschaft destabilisiert und die Regierungsfähigkeit des siegreichen Lagers bedroht.

Destabilisierende Figur - das Land im Würgegriff

In der ersten Runde wählte der Bolsonarismus eine Welle von Kongressabgeordneten und Senatoren der extremen Rechten sowie verbündete Gouverneure in mehreren Bundesstaaten ins Amt. Auch ohne Mandat wird Bolsonaro weiterhin als Anführer eines breiten Teils der Bevölkerung agieren und als destabilisierende politische Figur im Raum bleiben, ebenso wie Trump seinen Einfluss als Kopf der Republikanischen Partei beibehält.

Möglicherweise sind die brasilianischen Institutionen nicht so belastbar wie die US-amerikanischen, wenn es darum geht, die Verantwortlichen für die Angriffe auf das Wahlsystem und die Demokratie zur Rechenschaft zu ziehen.

Der Ausgang der Wahlen in Brasilien gibt Anlass zur Sorge. Gewinnt Bolsonaro, wird er die Gewaltenteilung ignorieren und die Demokratie, die Menschenrechte und die Umwelt in einer viel radikaleren und ungehinderteren Weise bedrohen als während seiner ersten Amtszeit.

Verliert er die Wahl, wird er wie Trump versuchen, die Regierung seines Konkurrenten zu destabilisieren und so die Gefahr gewaltsamer Auseinandersetzungen und politischer und sozialer Unruhen erhöhen, die weit über Brasilien hinausgehen.

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