Meinung: Warten auf die Briten
Im Prinzip ja, aber: Großbritannien will dem Euro lieber noch nicht beitreten
Fast 2000 Seiten Analysen, Grafiken und Tabellen – nie wurde eine politische Entscheidung mit so viel Aufwand präsentiert wie die von Schatzkanzler Gordon Brown über den britischen Beitritt zum Euro. Doch unterm Strich bleibt erst einmal alles beim Alten. „Im Prinzip Ja, aber nicht jetzt."
Die Briten und der Euro, das ist wie „Warten auf Godot". Die Angst vor dem Neuen und die heimliche Furcht, vielleicht doch etwas zu versäumen, halten sich die Waage. Wie bei „Warten auf Godot" darf jeder das Stück interpretieren, wie es ihm gefällt. So konnten sich gestern Euroskeptiker und Europhile ihren Träumen ein bisschen näher fühlen.
Labour läutet ein neues Kapitel ein. „Wir wollen" ist das Leitprinzip. Blair wird es diese Woche den EU-Partnern persönlich erläutern, geschlossen werden Brown und Blair eine „patriotische Kampagne für den pro-europäischen Konsensus" starten. Die Kosten eines Nichtbeitritts werden aufgelistet, riesige Handels- und Einkommensgewinne in Aussicht gestellt. Ein Aktionsplan soll Großbritannien fit für den Euro machen. Die Übernahme der Inflationskriterien der EZB, neue Strukturen für den britischen Wohnungsmarkt und ein energischer Aktivismus sollen all denen, die es hören wollen, den frühestmöglichen Beitritt signalisieren.
Doch für die Eurogegner zählen die Tatsachen. Sie feiern die neuerliche Verzögerung als wichtigen Etappensieg. Wer immer schon der Meinung war, dass kontinentale und angelsächsische Wirtschaftsgebräuche nicht zusammenpassen, sieht sich durch die Mammutanalyse von Brown bestätigt. Die Konvergenzlücke zwischen der Eurozone und der britischen Wirtschaft ist in den letzten Jahren eher größer geworden. Zinsen und Wirtschaftswachstum sind doppelt so hoch, die Arbeitslosigkeit beträgt die Hälfte. Wenn Brown warnt, die Flexibilität der britischen Arbeitsmärkte reiche für das Zwangskorsett der Einheitswährung nicht aus, gilt das erst recht für Euroland, wo die Flexibilität geringer ist. Überhaupt legt Browns Drängen auf Reformen in der Eurozone den Schluss nahe, dass es nicht die britische Wirtschaft ist, der es an Reife für die Währungsunion mangelt.
Für die britische Politik soll ein Zeitenwechsel beginnen. Die Pro-Europäer wollen sich an die Spitze des Zuges setzen. Doch die Realität läuft in die entgegengesetzte Richtung. Das fallende Pfund wird der britischen Industrie nützen und eine Zinsangleichung noch schwieriger machen. Machen wir uns nichts vor: Ein britischer Eurobeitritt scheitert nicht an Blairs Zögerlichkeit, auch nicht an der Machtbesessenheit, die Großbritanniens Medien Gordon Brown nachsagen und auch nicht am britischen Inseldenken. Es ist die Wirtschaftslage in der Eurozone, die bis auf weiteres das Haupthindernis darstellt.
Die wirtschaftliche Misere vor allem in Deutschland hat die Euro-Skepsis verfestigt, auch bei der britischen Wirtschaft. Kommt im nächsten Jahr noch Streit um die europäische Verfassung dazu, könnte sich die Stimmung weiter verhärten. Nur ein selbstmörderisch tollkühner oder ein in seiner Position uneinholbarer Premier könnte ein Referendum über den Euro in dieser Situation wagen. Doch Blair ist durch die Nachwehen des Irakkrieges angeschlagener als noch vor ein paar Wochen gedacht. Großbritanniens Eurobeitritt soll seine historische Meisterleistung werden. Doch vielleicht ist seine goldene Periode schon vorbei – und damit die beste Chance für den Euro.