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Meinung: Was ist süß fürs Vaterland?

Von Robert Birnbaum

Immer schlecht, wenn Politik vor Gericht entschieden werden soll. Meist ist das ein Indiz dafür, dass Politik ihre Aufgabe nicht richtig erfüllt hat. Dass sich das Bundesverwaltungsgericht damit befassen muss, ob in Deutschland Wehrgerechtigkeit besteht und also die Wehrpflicht weiterhin auf dem Boden der Verfassung steht, ist auch so ein Fall. Die allgemeine Wehrpflicht ist 1956 eingeführt worden, als der Kalte Krieg sich ersten Höhepunkten näherte und eine Landesverteidigung gegen den potenziellen Feind an den Grenzen den Einsatz aller Wehrfähigen sinnvoll erscheinen ließ. Inzwischen ist diese militärpolitische Begründung entfallen; übrig geblieben sind einerseits – umstrittene – Kostenargumente, andererseits die Vermutung, dass eine Wehrpflichtarmee irgendwie „ziviler“ und im Durchschnitt ihres Personals auch „intelligenter“ sei als ein Freiwilligen und Berufsheer.

Für diese Vermutung spricht ja sogar einiges. Ob das aber reicht, einen Zwangsdienst für theoretisch alle jungen Männer zu legitimieren, der praktisch immer weniger Personen trifft und dessen militärischer Variante sich inzwischen jeder per Postkarte verweigern kann – das ist gewiss auch eine juristische, in erster Linie jedoch eine politische Frage. Die Politik aber drückt sich vor der Antwort. Sie drückt sich sogar vor einer offenen Diskussion. Gestritten wird, auch in der anschwellenden Debatte in der SPD über die Zukunft der Wehrpflicht, genau nicht über die gesellschaftspolitisch brisante Legitimitätsfrage. Die Befürworter der Wehrpflicht führen lediglich Zweckmäßigkeiten ins Feld und suchen ihre Gegner mit der Prognose zu lähmen, ein Ausstieg aus der Wehrpflicht sei angesichts der knappen Mittel schlicht unbezahlbar.

Das könnte sogar stimmen. Trotzdem sind leere Kassen kein ausreichender Grund für eine Wehrverfassung, die nach wie vor einen erheblichen Eingriff in das Leben junger Männer darstellt. Das Bundesverwaltungsgericht hat der Politik formal einen Freibrief erteilt, indem es die Frage der Wehrgerechtigkeit praktisch von jedem Zahlenstreit abkoppelt. Aber wer die Wehrpflicht erhalten will, braucht eine Rechtfertigung über das Formale und auch über das bloß Zweckmäßige hinaus. Ist der Dienstzwang weiter zwingend notwendig? Wenn die Antwort Nein heißt, dann wird die Wehrpflicht fallen. Nicht, weil ein Gericht sie für illegitim erklärt, sondern weil es dann keine politisch-moralische Mehrheit mehr für sie gibt.

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