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Meinung: Wider besseren Glaubens

Seit mehr als 50 Jahren streiten Pakistan und Indien um Kaschmir – Moslems gegen Hindus/ Von Christian Wagner

Den „gefährlichsten Ort der Welt“ hat US-Außenminister Colin Powell Kaschmir einmal genannt. Vergangene Woche war er nach Indien gereist, um zwischen Neu-Dehli und Islamabad zu vermitteln. Mit wenig Erfolg. Zu verhärtet sind die Fronten zwischen Indien und Pakistan, zu lange schon währt der Kaschmir-Konflikt.

In den Auseinandersetzungen um Kaschmir spielt der Islam eine entscheidende Rolle und hat seit dem Ende der 80er Jahre noch an Bedeutung gewonnen. Mit der Gründung Pakistans im August 1947 hatte sich Jinnah, der Führer der Moslemliga durchgesetzt: Die Muslime erhielten bei der Unabhängigkeit Britisch-Indiens einen eigenen Staat. Einen Staat, in dem sie ohne Angst vor einer Majorisierung durch die Hindus leben konnten. Der indische Premierminister Nehru und Gandhi hatten das stets abgelehnt und einen säkularen Staat für alle Religionsgemeinschaften gefordert.

Im zunächst unabhängigen Königreich Kaschmir herrschte eine Hindu-Dynastie über eine mehrheitlich muslimische Bevölkerung. Im Kampf gegen einfallende Stammeskrieger gewährte Nehru dem König militärische Unterstützung, nachdem dieser im Oktober 1947 der Indischen Union beigetreten war. Aus den Kämpfen entwickelte sich der erste indisch-pakistanische Krieg.

Resolutionen der Vereinten Nationen forderten, dass die Bevölkerung selbst über die endgültige Zugehörigkeit Kaschmirs entscheiden sollte. Während Pakistan seit dieser Zeit auf die Durchführung einer Volksabstimmung beharrt, lehnt Indien diese mit dem Verweis auf den bereits vollzogenen Beitritt Kaschmirs zur Indischen Union im Oktober 1947 ab. Kaschmir ist bis heute ein Symbol für den religiös geprägten Staatsgedanken Jinnahs beziehungsweise die säkularen Ideen Nehrus.

Nach der Unabhängigkeit rückte die religiöse Frage im Kaschmirkonflikt in den Hintergrund. Der militärische Überraschungsangriff Pakistans 1965 brachte keine Lösung der Kaschmirfrage. Im Vertrag von Simla, 1972 nach der Niederlage Pakistans im dritten Krieg gegen Indien, versäumten es beide Seiten, die Waffenstillstandslinie in Kaschmir als Grenze festzulegen.

Die Frage der Eingliederung Kaschmirs in Indien und Pakistan war stets ein innenpolitisches Streitthema. Das indische Jammu & Kaschmir (J&K) erhielt Autonomierechte, die immer wieder zum Streit zwischen der Regierung in Neu-Delhi und der Landesregierung in Srinagar führten. Pakistan erkannte Azad Kaschmir als unabhängigen Staat an, kontrolliert aber dessen Außenbeziehungen.

Die Frage nach dem Status der so genannten Northern Territories blieb problematisch, da Kaschmir als „disputed territory“, also umstrittene Zone gilt, über dessen endgültigen Verbleib erst noch in einem Referendum entschieden werden müsse. Angesichts der Einigkeit aller Parteien in dem Konflikt mit Indien scheint Kaschmir mittlerweile zu einem Teil der nationalen Identität Pakistans geworden zu sein. Die damit verbundenen Bedrohungsszenarien durch Indien erlauben es der pakistanischen Armee, große Teile des Staatshaushalts für sich zu beanspruchen.

Erst die Islamisierung in Pakistan unter Zia-ul Haq in den 80er Jahren und das Ende des Afghanistan-Krieges brachten die religiöse Frage zurück auf die Tagesordnung des Kaschmirkonflikts. Die gefälschten Landtagswahlen 1987 im indischen J&K schürten den Unmut der muslimischen Oppositionsparteien gegenüber der National Conference und der Kongresspartei. Mit der logistischen, wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung von bewaffneten Gruppen durch den pakistanischen Geheimdienst Inter-Service Intelligence (ISI) sowie mit der Einschleusung ehemaliger Mujahedin-Kämpfer aus Afghanistan eskalierte der Konflikt seit Anfang der 90er Jahre in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Während sich der Terror der militanten Gruppen gegen die Hindus richtete, schürten die Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen der Armee die Angst der muslimischen Zivilbevölkerung vor den indischen Sicherheitskräften.

Während die in der Hurriyat Conference zusammengeschlossen Gruppen eher den Anschluss an Pakistan befürworten, fordert die Jammu and Kaschmir Liberation Front (JKLF) die staatliche Unabhängigkeit Kaschmirs. Während diese Gruppen von Teilen der Bevölkerung unterstützt werden, gibt es eine Reihe von militanten Gruppen, wie Lashkar-e-Toiba, die im United Jihad Council zusammengeschlossen sind und weitgehend von Pakistan aus operieren. Diese sind auch für die blutigen Anschläge der vergangenen Monate verantwortlich.

Das Erstarken des Hindu-Nationalismus und die Ausschreitungen gegen Muslime in Indien in den 90er Jahren haben bislang noch nicht auf den Kaschmir-Konflikt abgefärbt. Angesichts der großen muslimischen Minderheit kritisiert die indische Regierung zwar die Attacken militanter Gruppen, ohne jedoch den Islam insgesamt zu verurteilen. Mit ihren jüngsten Initiativen zur Autonomie bemüht sich die indische Regierung, die gemäßigten Organisationen an den Landtagswahlen im Oktober im indischen Teil Kaschmirs zu beteiligten, um damit den militanten Gruppen den Rückhalt zu entziehen.

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.

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