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Meinung: Wie bei Ebern und Bullen

Junge oder Mädchen? Heute können Eltern vorher entscheiden

Alexander S. Kekulé Der Wunsch ist uralt und unerfüllbar: Seit Anbeginn versucht der Mensch, mit allen nur erdenklichen Tricks und Ritualen das Geschlecht des Nachwuchses zu beeinflussen. Die alten Griechen drehten sich beim Beischlaf nach rechts, um Söhne zu zeugen. Im 18. Jahrhundert galt das Abbinden des linken Hodens als Geheimrezept für den gleichen Zweck. Ganz zu schweigen von den zahlreichen akrobatischen Stellungen, die in asiatischen Kulturen überliefert sind.

Auch heute noch kursieren unzählige Ratschläge zur Geschlechtsbestimmung des Kindes. Die meisten von ihnen basieren auf einer simplen Annahme: Weil männliche Spermien ein relativ kleines Y-Chromosom enthalten, sind sie schneller als weibliche. Diese sind mit ihrem größeren X-Chromosom zwar langsamer, aber dafür widerstandsfähiger.

Deshalb soll etwa eine saure Scheidenflora mehr männliche Spermien abtöten als weibliche. Wenn die Frau Jungs gebären will, hilft demnach alkalische Kost: Bananen, Milchprodukte und Spinat. Umgekehrt ist nach einem Orgasmus die Flora alkalischer – bei Mädchenwunsch wird deshalb empfohlen, auf den Orgasmus zu verzichten. Dazu ist in diesem Fall angeblich der Missionarsstellung der Vorzug zu geben, weil die langsamen weiblichen Spermien dann eher zum Zug kommen.

Am hartnäckigsten hält sich das Gerücht, dass der Zeugungszeitpunkt das Geschlecht beeinflussen könne. Mädchen gelängen am besten drei Tage vor dem Eisprung, weil sich die weiblichen Spermien länger halten. Für Buben ist angeblich die Empfängnis am Tag des Eisprungs oder kurz danach optimal, weil die wenig haltbaren männlichen Samen dann die langsameren weiblichen überholen.

Allen Patentrezepten, den alten wie neuen, ist eines gemeinsam: Sie sind wissenschaftlich vollkommen unbewiesen. Insbesondere gibt es keinen Beleg für die zentrale These, wonach männliche Spermien schneller und weniger widerstandfähig seien. Ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, liegt einzig und allein in Gottes Hand.

Das soll in den USA jetzt anders werden: Seit einigen Jahren ist es dort möglich, das Geschlecht des Nachwuchses vorherzubestimmen – und zwar ohne genetischen Eingriff. Eine Firma in Virginia hat die „Microsort“ genannte Methode ursprünglich für die Landwirtschaft entwickelt und patentiert.

Was für Bullen und Eber recht ist, soll nun auch für menschliche Erzeuger billig sein. Sie können in den Microsort-Laboren eine Samenprobe abgeben, in der dann die weiblichen von den männlichen Spermien getrennt werden. Dies bewerkstelligt ein „Zell-Sorter“ genanntes Gerät, das die Samen einzeln an einem Laserstrahl vorbeiströmen lässt. Weil die weiblichen Samen mit den größeren X-Chromosomen mehr DNA enthalten, leuchten sie im Laserlicht etwas stärker. Eine winzige Düse sortiert die Samenzellen blitzschnell in zwei Töpfchen, eins für Jungen und eins für Mädchen. Der Gynäkologe spritzt dann die nach Geschlecht sortierten Spermien in die Gebärmutter. Die Erfolgsquote des Verfahrens liegt für Mädchen bei 91 und für Jungen bei 76 Prozent (die Spermien mit den großen X-Chromosomen sind technisch schwieriger wegzusortieren).

In den USA ist das bisher bei rund 1000 Schwangerschaften eingesetzte Verfahren dabei, die Familienplanung zu revolutionieren. Das neue Schlagwort heißt „Familienbalance“: Eltern, die bereits mehrere Kinder eines Geschlechts haben, können durch Microsort ihre Familie „ausbalancieren“. Auch bei Eltern, die nur ein einziges Kind wollen oder sich als Erstgeborenes partout einen Jungen oder ein Mädchen wünschen, kommt die Methode zum Einsatz.

Ärzte in China und Indien haben bereits Interesse angemeldet: Statt weibliche Embryos abzutreiben, könnte die Geschlechtswahl mittels Microsort erfolgen. Der für die kommende Dekade berechnete Überschuss von etwa 30 Millionen Männern in China dürfte also noch größer werden.

In Europa ist die Geschlechtswahl aus nichtmedizinischen Gründen bisher verboten. Allerdings wird in Großbritannien bereits über die Zulassung diskutiert, weil das neue Verfahren ohne In-vitro-Fertilisation (IVF), ohne Verbrauch von Embryos und ohne Gentechnik auskommt. Aus ethischer Sicht gibt es deshalb keinen Grund zur Beanstandung. Nachteile für die europäische Bevölkerungsstruktur wären wohl ebenfalls nicht zu erwarten, das zeigen die bisherigen Erfahrungen mit Microsort und der schon lange möglichen IVF-basierten Geschlechtsbestimmung: Die Hälfte aller Eltern wollen Jungen, die andere Hälfte Mädchen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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