zum Hauptinhalt

Meinung: Wut wird nicht gewählt

Bei den Vorwahlen der US-Demokraten in Iowa siegten die Kandidaten der Mitte

Meteorologisch brach just zur Vorwahl in Iowa der Winter herein. Politisch aber hat ein lauer Frühlingshauch Amerikas Politik erfasst. Nicht, dass etwa jetzt schon der Gegner von George W. Bush feststünde. Und schon gar nicht ist jetzt, nach der ersten Abstimmung unter den Demokraten, Verlässliches über die Chancen des noch zu bestimmenden Herausforderers zu sagen. Aber es sind Schneisen geschlagen worden. Die Wähler haben erstmals selbst bekunden können, woran ihnen liegt – und woran eher nicht.

Wut kommt nicht gut an. Diese uralte Weisheit der US-Politik, von Ex-Präsidenten wie Carter, Reagan und Clinton einst meisterlich verkörpert, hat sich trotz gegenteiliger Prognosen vieler Experten bewahrheitet. Der Kandidat der Wut heißt Howard Dean. Der angesehene britische „Economist“ hat ihn auf dem Titel bereits als nächsten US-Präsidenten gefeiert – nur grafisch mit einem Fragezeichen versehen. Der Arzt aus Vermont steht mit seiner aggressiven Rebellion gegen Bush nun am Rande des Abgrunds. Gewinnt er am kommenden Dienstag nicht in New Hampshire, bei der zweiten Abstimmung, dann sieht es sehr düster für ihn aus.

Denn die Wähler suchen offenbar weniger einen, der Wut kanalisiert, als einen, der eine realistische Alternative bietet. Die zwei Senatoren namens John – Kerry und Edwards – sind höchst unterschiedliche Figuren, aber sie stehen beide für den Konsens der Mitte. Bei Kerry, dem überraschend klaren Sieger, heißt „Mitte“: langjährige Erfahrung, kein Ruf als Eiferer, Einsatz für praktische Reformen in der Sozialpolitik. Bei Edwards, dem Zweitplatzierten, bedeutet „Mitte“, jung und aus den Südstaaten zu sein, den Clinton-Mythos wiederzubeleben, auf scharfe Angriffe gegen Parteifreunde zu verzichten.

Der Triumph des „think positive“, die Absage an Kettenhunde und Wadenbeißer, ist nicht nur ein Doppelsieg für Kerry und Edwards. Auch das Establishment der Demokraten hat gesiegt. Die Parteiführung hat Deans Aufstieg mit größtem Misstrauen beäugt, hat seine Basisbewegung als unberechenbar erlebt und seine Erfolge beim Spendensammeln als Gefahr für jede realistische Kampagne gegen Bush bewertet. Jetzt ist klar, dass es innerparteilich eine Alternative zu Dean gibt. Sie heißt Kerry oder Edwards, und in New Hampshire könnte Wesley Clark, der Ex-Nato-Chef, als Dritter dazustoßen, wenn er dort gut abschneidet. Eine Figur der 80er Jahre, Ex-Fraktionschef Dick Gephardt, ist bereits ausgeschieden. So lautet das ungleiche Duell weiter Dean gegen das Establishment, das sichtlich gestärkt mit gleich mehreren Möglichkeiten in die nächste Wahlschlacht zieht.

Kerry, Edwards, Clark: Dies sind Kandidaten, hinter denen sich die gesamte Partei sammeln kann, wenn der interne Machtkampf denn entschieden ist. So sprach die „New York Times“ auch von einem Sieg des Pragmatismus, den Iowa erbracht habe. Damit aber steigen auch die Chancen, dass Amerikas Opposition im Herbst geschlossen und mit einer realistischen Alternative zum Kampf um das Weiße Haus antreten kann. Und dies bedeutet, dass in Iowa nicht nur Dean und Gephardt verloren haben, sondern auch George W. Bush.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false