
© Sven Serkis / SVEN SERKIS
Mohamed Chahrour: Aus der Innenwelt arabischer Clans
Zusammen mit Rap-Journalist Marcus Staiger hat der Schauspieler und Komponist Mohamed Chahrour das Buch „Dakhil – Inside arabische Clans“ geschrieben. Es widerlegt den rassistischen Mythos von den „kriminellen Großfamilien“ und der vermeintlich aus dem Ausland importierten Kriminalität.
Stand:
Wer den Namen Chahrour googelt, trifft sofort auf eine Flut reißerischer Schlagzeilen: „Bedroht, misshandelt, erpresst! Araber-Clan soll Mann gekidnappt haben – Prozess!“ Bei dem Wort „Clan“ denken inzwischen wohl viele, die in den vergangenen Jahren deutsche Medien konsumiert haben, unweigerlich an eine mafiöse Großfamilie aus Gangsterfilmen und selbst Wikipedia spricht von „kriminellen Großfamilien“.
Wer da mutmaßlich eine Entführung organisiert hat, ist aber nicht „der Clan“, sondern sind vier Brüder beziehungsweise Cousins von eventuell mehreren Tausend Familienmitgliedern, die wie eines ihrer „Clanmitglieder“ Mohamed Chahrour ein ganz normales Leben führen. „Niemand weiß, wie groß ein Clan ist, wer genau dazu gehört und wer nicht. Es könnten 700 oder 7000 Menschen sein“, sagt der Deutsch-Libanese Chahrour.
Eigentlich strebt der Schauspieler und Komponist eine Filmkarriere an, für die er im nächsten Jahr in die Nähe seiner Agentur nach London ziehen will. Doch die rassistische Diffamierung von Clans in der Öffentlichkeit habe den 29-Jährigen so entnervt, dass er zusammen mit dem Rap-Journalisten Marcus Staiger erst den erfolgreichen Podcast „Clanland“ machte und dann „Dakhil - Inside arabische Clans“ schrieb, das am 24. November beim Ghost-Verlag erschienen ist.
Das Buch der beiden erklärt anschaulich, dass arabische Clans keine kriminellen Netzwerke, sondern einfach Großfamilien sind, deren Mitglieder häufig nicht mehr eint als die Herkunft und der gemeinsame Name. Dementgegen erzählen sogar öffentlich-rechtliche Fernsehsender den „rassistischen Mythos“ von der kriminellen Clan-Verschwörung, die Deutschland unterwandern würde und von der die vier Angeklagten Mitglieder nur die Spitze des Eisberges sei.
Hausgemachte Kriminalität der deutschen Gesellschaft wird zu einem Problem einer separierten, ethnischen Gruppe erklärt und damit auch zum Teil ausgeblendet
Mohamed Chahrour, Schauspieler
„Polizei und Medien erklären alle Mitglieder eines Clans zum kriminellen Netzwerk und sagen dann ‘auf 30000 Clanmitglieder kommen nur 1000 Polizisten – wir brauchen mehr Polizei’“, sagt Chahrour, der von Zufallsbegegnungen mit Unbekannten erzählt, die sich als entfernte Clan-Verwandte herausstellten.
Etwa seit den Fluchtbewegungen von 2015 werde der Begriff „Clan“ von etlichen Medien und konservativen Politikern synonym mit einer kriminellen Organisation verwendet. Doch die vereinzelten Wege in die Kriminalität sind wohl selten im Nahen Osten gestartet. Ihre Recherche führte die Clanland-Macher viel eher beispielsweise auf Berliner Flohmärkte, wo Clanmitglieder ohne Arbeitserlaubnis Trödel verkauften und auf kriminelle Biodeutsche getroffen seien, die sie mit der kriminellen Unterwelt in Kontakt gebracht hätten.
Hausgemachte Kriminalität der deutschen Gesellschaft werde zu einem Problem einer separierten, ethnischen Gruppe erklärt und damit auch zum Teil ausgeblendet, sagt Chahrour, der eloquent innerhalb eines Satzes zwischen Deutsch, Arabisch und – manchmal auch ironisch verwendeter – Bildungssprache wechselt.
„Dakhil - Inside arabische Clans“ ist ein Eimer kaltes Wasser ins Gesicht jener Medien, die in den letzten Jahren im Zustand der Daueraufregung und oft trotz aller Berufung auf den eigenen progressiven Kampf gegen Rassismus das Bild des kriminellen Arabers gezeichnet haben. Dabei relativieren Staiger und Chahrour keineswegs Kriminalität, sondern setzen diese als soziales Problem auf die Tagesordnung.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: