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Schwere Zusammenstöße in Bulgarien. 126 Menschen sollen festgenommen worden sein.

© Imago/Alex Nicodim

Update

Protest gegen Regierungschef Borissow: 126 Festnahmen nach schweren Zusammenstößen in Bulgarien

Bei Protesten gegen die Regierung werden in Sofia Dutzende Menschen verletzt. Die Polizei nimmt Demonstranten fest und räumt nicht zugelassene Blockaden.

Stand:

In der bulgarischen Hauptstadt Sofia ist es vor dem Parlament zu schweren Zusammenstößen zwischen regierungskritischen Demonstranten und der Polizei gekommen.

Bei den Protesten am Mittwoch wurden mindestens 55 Menschen verletzt, wie die Behörden mitteilten. 126 Menschen wurden nach den Ausschreitungen festgenommen. 60 von ihnen hätten einen kriminellen Hintergrund, hieß es. Die Proteste richten sich gegen Ministerpräsident Boris Borissow, dem die Demonstranten Korruption und Nähe zu Oligarchen vorwerfen.

Tausende Demonstranten skandierten im Zentrum von Sofia "Rücktritt" und "Mafia". Am Sitz des Parlaments schleuderten manche der Protestierenden Rauchbomben, Feuerwerkskörper, Steine und Flaschen. Die Lage eskalierte, als einige Demonstranten versuchten, eine Polizeiabsperrung um das Parlamentsgebäude zu durchbrechen.

Mit Schutzschilden ausgerüstete Einsatzkräfte gingen gegen die Demonstranten vor und räumten den Umkreis des Parlaments frei. Die Polizei setzte Pfefferspray, Tränengas und Knallgranaten ein. Zahlreiche der ins Krankenhaus eingelieferten Verletzten hatten Verbrennungen oder Atemprobleme. Unter den Verletzten waren den Behörden-Angaben zufolge 37 Polizisten. Bei den übrigen Verletzten handelte es sich demnach neben Demonstranten auch um Journalisten.

Protest in Sofia: Demonstranten und Polizei geraten aneinander.

© dpa/AP/Valentina Petrova

Nach den Zusammenstößen haben Sicherheitskräfte nicht zugelassene Blockaden an großen Straßenkreuzungen der bulgarischen Hauptstadt Sofia geräumt. Die Zelte der Demonstranten wurden in der Nacht zum Donnerstag entfernt. Dabei gab es amtlichen Angaben zufolge allerdings keine Zusammenstöße. Kein Protestler aus den Lagern wurde festgenommen.

Die als „Zone der Freiheit“ ausgegebenen Zeltlager erwiesen sich als Verstecke für selbstgebaute Böller und harte Gegenstände, die auf die zum Schutz des Parlaments aufgebotenen Polizisten geworfen wurden, wie Polizeichef Georgi Chadschiew sagte. Die Organisatoren der Proteste, das sogenannte Giftige Trio, führten die Ausschreitungen auf Provokateure zurück.

Chadschiew wies Anschuldigungen von Menschenrechtsaktivisten zurück, die Einsatzkräfte seien unverhältnismäßig hart vorgegangen. Unter den Festgenommenen waren nach seinen Angaben polizeibekannte Fußball-Ultras.

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Die Proteste wurden durch Regierungspläne für eine Verfassungsänderung angeheizt. Am Mittwoch erhielt Borissows Partei Gerb im Parlament die nötigen 120 Stimmen, um den Vorschlag einen Schritt voranzubringen. Beobachter bezweifeln jedoch, dass die Regierung die nötigen 160 Stimmen zusammenbekommt, um die nächste Stufe des Verfahrens zu erreichen.

Kritiker werfen Borissow vor, dass die Verfassungsreform keine stärkeren Rechenschaftspflichten für den Chef der bulgarischen Staatsanwaltschaft vorsieht. Der aktuelle Chefankläger Iwan Geschew sieht sich wegen mutmaßlicher Verbindungen zu mächtigen Oligarchen ebenfalls mit Rücktrittsforderungen konfrontiert.

Borissow ist seit zehn Jahren an der Macht – fast ununterbrochen

Die Reform soll auch die Rechte des Präsidenten beschneiden. Der aktuelle Staatschef Rumen Radew steht der Borissow-Regierung sehr kritisch gegenüber. Er wirft ihr "Verbindungen zu Oligarchen" vor und unterstützt die Forderungen der Demonstranten

Angesichts der seit Monaten anhaltenden Proteste forderte Radew am Mittwoch in einer Mitteilung an das Parlament abermals vorgezogene Neuwahlen. Die nächste reguläre Parlamentswahl wäre im März 2021. "Das Vertrauen ist definitiv verloren", sagte der von den oppositionellen Sozialisten unterstützte Ex-General. Razzien der Staatsanwaltschaft an seinem Amtssitz hatten die Proteste vor zwei Monaten ausgelöst.

Borissow ist seit zehn Jahren fast ununterbrochen an der Macht. 2013 und 2016 trat er jeweils zurück, kehrte aber wenige Monate später wieder an die Regierungsspitze zurück. Bisher weigert er sich allerdings, vor Ablauf seiner dritten Amtszeit im kommenden März zurückzutreten.

Bulgarien gilt als das EU-Land, in dem Korruption am weitesten verbreitet ist. Das Land ist vergleichsweise arm. Wenige Oligarchen kontrollieren weite Teile der Wirtschaft. (AFP, dpa)

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