Politik: 80-Stunden-Woche
Ein Bundeswehr-Sanitäter will die Bundesrepublik wegen zu vieler Überstunden verklagen
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Berlin - Die Klage gegen die Bundesrepublik, die der Sanitätsoffizier demnächst wegen zu vieler Überstunden bei einem Arbeitsgericht einreichen will, ist die Ultima Ratio: Bundeswehrarzt Wolfgang Petersen will damit ein Zeichen setzen. „Wenn die Führung es nicht schafft, die Probleme der Sanität zu artikulieren, muss es eben die Basis tun“, sagt Petersen, der als Vorsitzender des „Forum Sanitätsoffiziere“ die Interessen von Sanitätern und Ärzten der Bundeswehr vertritt.
Der Unfallchirurg am Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz hat wie viele seiner Kollegen innerhalb von zwei Jahren mehr als 1 000 Überstunden auf seinem Arbeitszeitkonto angehäuft. Theoretisch könnten diese nach geltendem Recht zwar abgebummelt werden – doch faktisch sei die Dienstzeitausgleichsregelung aus strukturellen Gründen außer Kraft gesetzt. „Das Problem ist, dass wir neben dem täglichen Krankenhausbetrieb auch noch junge Leute ausbilden müssen“, sagt Petersen. „Da können wir nicht einfach nach Hause gehen.“
Dass was dran ist an den Vorwürfen des Oberarztes, zeigt auch der jüngste Bericht des Wehrbeauftragten der Bundeswehr, Reinhold Robbe: Er hatte bei der Vorstellung des Reports am Dienstag über die Belastung von Heeresfliegern, Feldjägern, Ärzten und Sanitätspersonal durch die vielen Auslandseinsätze geklagt. Wegen der Auslandseinsätze vieler Mediziner fehlten den Bundeswehrkrankenhäusern in Deutschland Chirurgen und Anästhesisten, beklagte Robbe. Das Personal habe zum Teil eine Arbeitszeit von 70 bis 80 Wochenstunden. Operationssäle blieben vorübergehend geschlossen. Für Petersen liegt der Ursprung des Übels dagegen bei der Sanitätsführung der Bundeswehr – sie hat in seinen Augen versagt. „Die Führung hat es seit Jahren versäumt, entsprechende Personalplanungen den Belastungen anzupassen“, moniert Petersen. Vor allem gebe es bei der Besetzung der Stellen in den Bundeswehrkrankenhäusern vonseiten des Dienstherren keine Absprachen mit den entsprechenden Abteilungsleitern. Kurzfristige Gegenmaßnahmen, wie die vom Inspekteur des Sanitätsdienstes Kurt-Bernhard Nakath vorgeschlagene Freistellung von drei besonders stark belasteten Kollegen, seien nicht umsetzbar, sagt der Oberarzt. „Das können wir gar nicht leisten. Dann müssten die anderen ja noch mehr Überstunden machen.“ Beim Verteidigungsministerium wollte man sich gegenüber dem Tagesspiegel nicht zu Petersens Anschuldigungen äußern.
Sanitätskreise bestätigen dagegen, dass es bei der Teilstreitkraft „gewisse Engpässe“ gebe. „Die Lage ist angespannt“, berichtet ein Oberstleutnant, der die Arbeitsbedingungen der deutschen Sanität im In- und Ausland kennt. Die Streitkraft leide vor allem unter ihrer dünnen Personaldecke: So belegten interne Listen, dass von rund 200 Soldaten eines Sanitätskommandos nur 20 für einen Auslandseinsatz zur Verfügung stünden. Hinzu kämen Ausfälle, die etwa durch Schwangerschaften entstehen. So dürften Ärztinnen, die ein Kind erwarteten, bereits in einem frühen Schwangerschaftsstadium wegen Infektionsgefahr nicht mehr operieren. Der Anteil der weiblichen Mitarbeiter liegt bei der Sanität bei rund 30 Prozent und ist damit dreimal so hoch wie bei den anderen Teilstreitkräften. Im Inland sei zudem der häufige Wechsel der Truppenärzte, die als Hausärzte fungieren, ein Problem. „Von einem vertrauensvollen Verhältnis zwischen Arzt und Patient kann da keine Rede mehr sein“, sagt der Sanitätsoffizier. Beim Inspekteur der Sanität seien deswegen schon zahlreiche Beschwerden eingegangen.
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