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Politik: Abschied von der Streitkultur Von Jost Müller-Neuhof

Es war einmal eine Justizministerin, die hatte einen Vorschlag: Die Justiz sollte effizienter werden. Sie nannte das „große Reform“, und weil das vielen in Politik und Justiz nicht gefiel, machten sie Kleinholz daraus.

Es war einmal eine Justizministerin, die hatte einen Vorschlag: Die Justiz sollte effizienter werden. Sie nannte das „große Reform“, und weil das vielen in Politik und Justiz nicht gefiel, machten sie Kleinholz daraus. Das war vor vier Jahren. Jetzt soll eine wirklich große, umfassende Reform her, die letztlich dasselbe will – einen Totalumbau, der für den Rechtsstaat werden könnte, was Hartz IV für den Sozialstaat ist.

Wer meint, es handele sich hierbei um einen Sonderparcours für Paragrafenreiter, der macht sich ein falsches Bild davon, was es heißt für die Deutschen, nicht nur Recht zu haben, sondern auch Recht zu bekommen. Am Ende verwandeln wir noch jede soziale, religiöse, politische oder ökonomische Frage in ein gerichtsförmiges Verfahren. Jüngstes Beispiel ist die verständliche Enttäuschung tausender Anleger, dass es mit den TelekomAktien doch nicht so klappt, wie Manfred Krug versprochen hatte. Also zerren wir unser Problem vor Gericht. Heute die geplatzte Börsenblase, morgen vielleicht den überschuldeten Bundeshaushalt. Die Richter sollen es richten. Den Unfallschaden und den Nachbarzwist genau wie die Frage, wie viel Islam die Gesellschaft verträgt und ob die Kasse Viagra bezahlt.

Die Vorschläge aus der Justizministerkonferenz bedeuten in der Tat einen Umbruch. Denn zu der Gewissheit, alles und jeden vor Gericht stellen zu können, gehörte stets, den Prozess über ein paar Instanzen treiben zu dürfen. Berufung und Revision, das sind hier zu Lande sorgsam kultivierte Bräuche, fast möchte man sagen: vom Range eines Feiertags. Aber wir haben es übertrieben, und die Tatsache, dass sich Amts-, Land-, Oberlandes- und Bundesgerichte in vier Stufen übereinander türmen, ist nur historisch zu erklären. Was ein Rechtsstaat wirklich braucht, ist die Möglichkeit zu klagen, und die Möglichkeit, ein Urteil kontrollieren zu lassen. Was darüber hinausgeht, ist eine Mischung aus Tradition, Bequemlichkeit, Beschäftigungssicherung, vielleicht sogar ein wenig Luxus.

Dabei darf man jedoch nicht vergessen: Es ist eine Mischung, die recht gut funktioniert. Im Großen und Ganzen arbeitet die Justiz zügig, holt einen guten Teil ihrer Kosten über Gebühren wieder herein und findet sich als Haushaltsposten von Bund und Ländern unter ferner liefen. Richter, Staats- und Rechtsanwälte genießen in Deutschland eine weit überdurchschnittliche Ausbildung, die noch besser wäre, wenn sie nahtlos in eine kontinuierliche Fortbildung überginge. Wer die Qualität der Justiz sichern will, sollte sich hier bemühen, nicht bei der Erhaltung des Instanzenzugs. Es wird sich auch nicht viel sparen lassen. Sollten ein paar Länderminister durchgerechnet haben, wie viele Richterstellen sie bald streichen können, so haben sie sich geirrt. Die Eingangsinstanzen würden künftig stärker belastet. Auch das kostet Personal.

Am Ende also ein Nullsummenspiel? Es hat so seine Gründe, dass es seit über 100 Jahren keine große Justizreform gegeben hat. Viele schimpfen es Flickwerk, tatsächlich sind immer wieder Anpassungen vorgenommen worden, die weiterhalfen – auch zu mehr Gerechtigkeit. So hatte Herta Däubler-Gmelin vor vier Jahren immerhin durchgesetzt, dass es nicht mehr am Streitwert hängt, ob ein Fall zum Bundesgerichtshof gelangt. Das höchste Gericht ist seitdem auch für kleine Leute da. Man kann in solchen Schritten weitermachen. Wagt man den großen Wurf, so wäre dies vor allem ein – hoffnungsvolles – Symbol: für den Abschied von einer überzogenen Streitkultur.

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