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Der Kita-Besuch ist vor allem dann entscheidend für den späteren Schulerfolg, wenn die Eltern mangels eigener Bildung ihr Kind nicht fördern können.

© Kitty Kleist-Heinrich

Armut in Deutschland: Ursachen bekämpfen, nicht Symptome

Kinder und geringe Bildung sind Armutsfaktoren. Das lässt sich ändern. Ein Gastbeitrag vom Geschäftsführer der Hertie-Stiftung.

Der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zeichnet ein unfreundliches Bild von Deutschland. 12,5 Millionen Menschen gelten als arm. Sie verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens unserer Gesellschaft. Darunter sind 3,4 Millionen Rentner und rund 2,5 Millionen Kinder. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind überproportional häufig von Armut betroffen.

Das klingt schlimm. Und so fordern die Autoren wie auch in den vergangenen Jahren reflexartig mehr Geld. Höhere Renten, höhere Regelsätze in der Grundsicherung, mehr Sozialhilfe, mehr Kindergeld. Ungeachtet der Frage, woher das Geld kommen soll: Es ist der falsche Ansatz. Denn so behandelt man Symptome, keine Ursachen.

Nun sind die Ursachen von Armut vielfältig. So vielfältig, dass es kein Patentrezept zu ihrer Bekämpfung gibt. In Deutschland lassen sich aber zwei Faktoren festmachen, die tatsächlich mit überschaubarem Aufwand beeinflussbar und darüber hinaus unmittelbar miteinander verknüpft sind: Kinder und geringe Bildung.

Drei schon heute umsetzbare Maßnahmen können Abhilfe schaffen.

1. Bessere Kinderbetreuung    

Dass Kinder ein Armutsrisiko sind, ist so wenig neu wie es für unsere Gesellschaft beschämend ist. Besonders betroffen sind, so zeigt der Armutsbericht, die rund 2,7 Millionen Alleinerziehenden. 41,9 Prozent von ihnen gelten als arm. Dieser Gruppe ließe sich helfen: Mit ausreichender Kinderbetreuung. Dazu nur eine Zahl: Unter den Hartz-IV-Beziehern sind rund 500 000 Alleinerziehende, die arbeiten können und auch wollen, es jedoch wegen nicht geklärter Betreuung der Kinder nicht tun. Es fehlt nicht nur überhaupt an (bezahlbaren) Plätzen in Kindertagesstätten, es fehlt vor allem an Betreuungszeiten auch an Wochenenden, am frühen Morgen und späten Abend. Man denke nur an Angestellte im Einzelhandel und in der Gastronomie, die an Wochenenden und bis spät abends arbeiten, oder an Schichtarbeiter.

Auch die Ganztagsschule spielt für Eltern – ob alleinerziehend oder nicht – eine wichtige Rolle bei der Frage, welche beruflichen Wege sie verfolgen können. Und dies ist nicht der einzige positive Aspekt dieser Schulform: Erfahrungen – zum Beispiel aus dem größten deutschen Schulwettbewerb „Starke Schule“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung - deuten darauf hin, dass eine Ganztagsbetreuung zu lebenstüchtigeren Jugendlichen führt, die besser den Anschluss in Ausbildung und Beruf finden.

Bessere Ansätze wären zum einen bessere Bezahlungen der unteren Einkommensschichten, das Ermöglichen von Teilzeitarbeit und ganz besonders ein sozialer Wohnungsbau, der für Durchmischungen der Einkommens-schichten sorgt. Die zunehmende Segregation nach Einkommen wirkt als stärkster Katalysator für ungleiche Bildungschancen.

schreibt NutzerIn prophetohnevolk

2. Mehr Ganztagsschulen   

Damit sind wir beim zweiten großen Armutsrisiko: Mangel an Bildung und Qualifikation. Warum gibt es das noch? Wie ist das möglich nach Jahrzehnten des Wohlstands, des Wachstums, der Entwicklung auch im Bildungssystem? Zum einen wird seit Jahren in Deutschland die schlechte Chancengerechtigkeit beklagt. Was der sperrige Begriff meint: Wer aus einer gut gebildeten Familie kommt, wird eher gut gebildet, wer aus einer schlecht gebildeten Familie kommt, hat kaum Aussicht auf eine bessere Bildung und damit sozialen Aufstieg. Zweifellos führen Stigmatisierungen zu diesem Phänomen, aber was auch zu fehlen scheint, ist die vielleicht altmodische Einstellung von Eltern: „Meine Kinder sollen es einmal besser haben als ich.“

Aber das ist nicht alles. Die Schulen werden heute als System überfordert. Sie sollen Grundwissen lehren, Talente und Fähigkeiten fördern, Werte vermitteln, auf das alltägliche Leben vorbereiten, inkludieren, integrieren und so weiter. Das ist an fünf Vormittagen in der Woche unmöglich. Wo alles auf einmal gelingen soll, gelingt immer weniger. Die Folge: Genervte Schüler, ausgebrannte Lehrer. Ein Teufelskreis.

Erst die Ganztagsschule schafft den zeitlichen Rahmen, allen Aufgaben gerecht werden zu können. Auch der individuellen Betreuung von Schülern bis hin zur gezielten Förderung zu höheren Abschlüssen. An guten Konzepten mangelt es nicht. Dazu zählt vor allem auch die Unterstützung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, von denen immer noch viel zu wenige einen höheren Abschluss anstreben. 

3. Eine neue Allianz zwischen Eltern, Erziehern und Lehrern

Gute Kinderbetreuung in der Kindertagesstätte und gute Schule kann aber nicht gedeihen ohne die Eltern der Kinder. Die Eltern müssen die Kinder motivieren und unterstützen und zugleich die Grundsätze und Konzepte der Erzieher und Lehrer mittragen. Doch die Einbindung der Eltern über einen Elternabend hinaus wird in der Regel kritisch gesehen. Denn ein gemeinsames Verständnis ist schwierig, die Bandbreite reicht von „Helikopter-Eltern“, die ihr Kind bis in den Klassenraum begleiten und jede Note mit der Lehrerin diskutieren, bis hin zu völlig desinteressierten Vätern und Müttern. Was daher nötig ist, ist eine „neue Allianz“ zwischen Familien, Erziehern und Lehrern, mit klaren Regeln und verpflichtenden Zielvereinbarungen.

Ja, das alles kostet Geld. Und das nötige Personal für Kindertagesstätten und Schulen wächst nicht auf Bäumen. Die Maßnahmen für eine gestärkte Bildung und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung müssen als Investition in die Zukunft betrachtet werden. Sie verringern Arbeitslosigkeit, sorgen für Wachstum, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit. Armut ist dann zumindest für weniger Menschen in Deutschland ein Thema.

Der Autor ist Geschäftsführer der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung.

John-Philip Hammersen

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