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Atomendlagerung: Geheime Akten – nicht mehr ganz geheim

Niedersachsens ehemaliger Ministerpräsident Ernst Albrecht wollte in den 70er Jahren ein Atomendlager auf einer Nordseeinsel. Darüber geben Kabinettsprotokolle Aufschluss, die Mitgliedern des Umweltausschusses jetzt vorliegen.

Rebecca Harms erinnert sich noch genau an den 22. Februar 1977. „Wir hörten entsetzt im Radio, dass Gorleben Standort werden sollte“, erzählt die Europaabgeordnete der Grünen, die aus dem Wendland stammt und dort von Anfang an beim Anti-Atom-Protest mitmachte. Niedersachsens damaliger Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) hatte zur Überraschung vieler ein Waldstück bei Gorleben zum Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum benannt. Auf einem Areal von 16 Quadratkilometern sollten eine Wiederaufarbeitungsanlage, eine Brennelementefabrik, ein Endlager und weitere Atomanlagen errichtet werden.

Neben Gorleben standen damals noch andere Salzstöcke in Niedersachsen zur Auswahl. Sie hätten sich nach Ansicht von Geologen sogar besser als Lagerstätte für strahlende Abfälle geeignet. Der Hamburger Geologe Professor Eckhard Grimmel urteilte seinerzeit: Der Salzstock Gorleben ist nicht durch eine hinreichend mächtige und lückenlose Tondecke von den wasserführenden Schichten abgeschirmt. Der Salzstock habe durch Salzauflösung einen Teil seiner Substanz verloren und werde noch weiter abgelaugt.

Atomkraftgegner vermuteten schon damals, dass nicht unbedingt wissenschaftliche Erkenntnisse für Albrechts Entscheidung den Ausschlag gaben. Sie unterstellten dem Ministerpräsidenten politisches Kalkül: Im strukturschwachen, dünn besiedelten Wendland würden die Leute schon nichts gegen die Atomfabriken haben, und gegen die vielen versprochenen Arbeitsplätze erst recht nicht. Und wenn es doch mal einen Unfall geben sollte, würde der in der Regel vorherrschende Westwind eine radioaktive Wolke nach Osten, also in die DDR, treiben.

Wenn Albrecht und sein Kabinett wirklich so spekulierten, hatten sie sich zumindest mit Blick auf den Widerstand verrechnet. Schon am Abend der Standortbenennung versammelten sich in Gorleben hunderte empörter Menschen. Drei Wochen später demonstrierten 20 000 auf dem geplanten Baugelände. Im März 1979 brachen die Lüchow-Dannenberger zu ihrem legendären Treck nach Hannover auf, sie wurden dort von 100 000 Demonstranten empfangen. Eine Wiederaufarbeitungsanlage, telegrafierte Albrecht an Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), sei „politisch derzeit nicht durchsetzbar“. Der Gorlebener Salzstock wird dennoch als mögliches Endlager erkundet.

Beweisen konnten die Atomgegner ihren Verdacht nie, entkräftet wurde er aber auch nicht. Nun erhoffen sie sich Aufschluss von den alten Kabinettsprotokollen. Im Verein mit den Oppositionsparteien im Landtag drängen Bürgerinitiativen auf eine Veröffentlichung der Dokumente. Doch die sind vertraulich und bleiben das auch, sagt die Landesregierung von Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Regierungssprecher Roman Haase verwies auf die Notwendigkeit einer freien Diskussion. „Wenn Sie die Vertraulichkeit aufheben, können Sie im Kabinett nicht mehr offen sprechen. Das soll aber gewährleistet bleiben“, sagte er dem Tagesspiegel.

Immerhin können jetzt die Mitglieder des Umweltausschusses Einsicht in die Akten nehmen. Die Abgeordneten dürfen in der Öffentlichkeit aber nicht den Inhalt der Dokumente bekannt machen oder gar daraus zitieren. Kurt Herzog, Umweltexperte der Linken im Landtag, hat die Akten schon studiert. Er zitierte am Donnerstag aus einem Vermerk, nach dem Albrecht den Atommüll ursprünglich auf eine Nordseeinsel bringen lassen wollte. Die Notiz stamme von dem früheren Vizepräsidenten der Niedersächsischen Landesanstalt für Bodenforschung. Wörtlich soll er geschrieben haben: „Ministerpräsident Dr. Albrecht wolle nicht, dass diese Anlage in Niedersachsen stünde, sondern in einem notfalls auch exterritorial definierten Gebiet außerhalb, und zwar auf einer Nordseeinsel, in Nordnorwegen oder in Grönland.“

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