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Marschbefehl. Seit 1965 war das Lazarettregiment 11, hier Soldaten vor der Kaserne Stapelhorst, in Seeth stationiert. Viele Bürger bangen nun um ihre Existenz und um die Zukunft der gesamten Gemeinde. Foto: Tim Riediger/dadp

© dapd

Bundeswehr schließt Standorte: Ausgemustert

Die 700-Einwohner-Gemeinde Seeth in Nordfriesland hat von und mit der Bundeswehr gelebt – nun wird die Kaserne geschlossen.

Für viele Kommunen ist es das Horrorszenario schlechthin. Jahrzehntelang hat man mit der Bundeswehr gelebt und davon wirtschaftlich profitiert, und nun zieht die Truppe ab. Genau das Schicksal blüht der 700-Einwohner-Gemeinde Seeth im Kreis Nordfriesland. Seit eineinhalb Wochen weiß man, dass die Stapelholmer Kaserne zusammen mit 30 weiteren Standorten auf der Streichliste des Verteidigungsministeriums steht. Viele haben nun Angst.

„Das war meine erste und meine letzte Demo“, erinnert sich Inge Pruß an das Jahr 1995. Sie betreibt an der Hauptstraße in Seeth ein Blumengeschäft. Damals demonstrierten über 1500 Bürger gegen den vom Verteidigungsministerium auf der Bonner Hardthöhe geplanten Abzug der Bundeswehr und hatten Erfolg. 16 Jahre später jammern viele Bewohner auch der Nachbarkommunen, doch diesmal stemmt sich niemand wirklich gegen das endgültige Aus als Garnisonsort. Angesichts der allgemeinen Sparmaßnahmen scheint das aussichtslos. Inge Pruß hat bisher von der Truppe profitiert: „Was glauben Sie, was hier etwa am Valentinstag oder vor der Heimfahrt ins dienstfreie Wochenende bei mir los ist?“

705 Soldaten und 15 Zivilbeschäftigte arbeiten in der Kaserne, die mitten in der von Naturschützern als wertvoll geschätzten Eider-Treene-Sorge-Niederung liegt. Wie lange noch, das sollen sie bis Ende des Jahres erfahren. Wer nicht gerade seine Grundausbildung in Seeth macht, der grübelt inzwischen über seine Zukunft. Reihenweise werden im Lazarettregiment11 bereits Versetzungsanträge gestellt. Die seit1965 hier stationierte Bundeswehreinheit wird wohl ihr 50. Jubiläum vor Ort nicht mehr erleben.

Durch den Ort und an der Kaserne vorbei führt zwar die Bundesstraße 202, doch deren Qualität südöstlich von Seeth ist mit Tempo-40- und Tempo-60-Zonen wegen dauerhafter Straßenschäden nicht gerade ein infrastrukturelles Vorzeigeprojekt. Industrie sucht man in dem Landstreifen vergeblich. Es gibt in Seeth und Umgebung viele mittelständische Handwerksbetriebe, die immer wieder Arbeitsaufträge aus der Kaserne erhalten. Andere setzen auf den Tourismus. In der idyllischen Gemeinde stehen allein über 50 Reetdachhäuser, viele davon sind mehrere Hundert Jahre alt.

Doch diese anziehende Einöde und Stille bereitet dem Seether Bürgermeister Peter Dirks von der Wählergemeinschaft nun gewaltiges Kopfzerbrechen. Der gelernte Maurer rechnet mit einem Einwohnerverlust durch den Fortzug von Familien aus der Region, mit Auswirkungen auf Kitas, Krabbelstuben und die Schulentwicklungsplanung, mit einem Rückgang von Aktivitäten in Vereinen und Verbänden und mit Umsatzeinbußen für Handel und Handwerk. Was mit den Kasernengebäuden vor dem Ortseingang geschehen soll, ist völlig offen. Dirks hat noch keine Vorstellung, welche Art von Konversion dort funktionieren könnte. Sein Stellvertreter Holger Pramschüfer pflichtet ihm bei. Für einen Euro den Quadratmeter würde man die Bundeswehrliegenschaft übernehmen, für einen marktüblichen Preis allerdings nicht. Immerhin handelt es sich bei der Kaserne und dem angrenzenden Truppenübungsgelände um eine Fläche von 200 Hektar. Schwieriger Umstand bei der Frage der Nachnutzung: Das Areal fällt zum einen in den Kreis Nordfriesland, zum anderen liegt es im Kreis Schleswig-Flensburg.

Am Dienstag hat Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) alle von der Bundeswehrreform betroffenen Bürgermeister zu sich nach Kiel bestellt. Pramschüfer fährt mit geringen Erwartungen in die Landeshauptstadt, weiß er doch, dass die Landeskassen leer sind. Und von den 26 Bundeswehrstandorten in Schleswig-Holstein, die in den vergangenen Jahren aufgegeben wurden, harren noch immer viele Liegenschaften einer neuen Nutzung. Seeth könnte diese Liste in absehbarer Zeit ergänzen.

Die Zukunft der Kaserne ist zwar nun besiegelt, und trotzdem wird weiter Geld in Millionenhöhe in die Fertigstellung eines neuen Sanitätsgebäudes gesteckt. Dem Vernehmen nach sind die drohenden Konventionalstrafen für Handwerksbetriebe höher als die Erfüllung vertraglicher Pflichten. Darüber schüttelt man in Seeth dann doch den Kopf. Andererseits fragt man sich, wo man künftig kegeln gehen soll, wenn nicht in der Kasernenkantine, und was aus der schönen Sporthalle werden soll, die man bisher noch wie selbstverständlich mitnutzen darf.

Besonders gespannt betrachtet Eike Brodersen den Fortgang der Stapelholmer Kaserne. Die heute 54-Jährige musste 1964 mit ihren Eltern und vier weiteren Nachbarfamilien ihr Haus verlassen, um dem Kasernenneubau Platz zu machen. Ihr erster Mann war Feldwebel, und so hat sie persönlich ein ganz besonderes Verhältnis zur Bundeswehr entwickelt. Das wird nun abrupt beendet.

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