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Politik: Brachte ein Spion Nordirland wieder unter Londoner Herrschaft?

Hochrangiger Funktionär der nordirischen Sinn-Féin-Partei gesteht Spitzeldienste / Weitere Maulwürfe befürchtet

Ein hoch gestellter Funktionär der nordirischen Sinn-Féin-Partei hat am Wochenende bestätigt, er habe seit 20 Jahren für den britischen Geheimdienst und die nordirische Polizei spioniert. Der 55-jährige Denis Donaldson, der in den 1970er Jahren eine Haftstrafe für IRA-Vergehen abgesessen hatte, war kurz zuvor aus der Sinn-Féin-Partei ausgeschlossen worden. Er war vor drei Jahren verhaftet und angeklagt worden, einen Spionagering der IRA im Herzen der britischen Nordirlandverwaltung aufgebaut zu haben.

Donaldson war damals der Verwaltungschef der Sinn-Féin-Fraktion im nordirischen Parlament gewesen. Die Polizei behauptete, sie habe Tausende von belastenden Dokumenten sichergestellt. In einer groß angelegten Aktion siedelte sie anschließend zahlreiche Beamte aus Sicherheitsgründen um. Die Ombudsfrau über die nordirische Polizei, Nuala O’Loan, deren Integrität unbestritten ist, hat die damaligen Polizeirazzien nachträglich als berechtigt bezeichnet. Die nordirische Koalitionsregierung wurde zehn Tage nach diesen Vorwürfen aufgelöst; seither wird Nordirland wieder von britischen Politikern regiert.

Doch am 8. Dezember verkündete die nordirische Staatsanwaltschaft überraschend, die Anklagen gegen Donaldson und seine beiden angeblichen Komplizen seien „im öffentlichen Interesse“ fallen gelassen worden. Britische Politiker weigerten sich allerdings standhaft, Stellung zu nehmen, worauf sich dieses angebliche öffentliche Interesse beziehe. Dadurch wurde nachhaltig der Verdacht genährt, dass ein Spitzel beschützt werden sollte.

Donaldson und Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams behaupteten in ihren getrennten Pressekonferenzen am Wochenende, der angebliche IRA-Spionagering sei von Anfang an eine Verschwörung zwielichtiger Kreise im nordirischen Sicherheitsapparat gewesen, die den Friedensprozess sabotierten wollten. Aus ihrer Perspektive sei die Polizei-Operation die Rache für den nach wie vor unaufgeklärten Einbruch im Hauptquartier der polizeilichen Sonderdienste (Special Branch) in Castlereagh im März 2002 gewesen. Die Polizei hatte damals die IRA beschuldigt, letztlich aber niemanden überführt.

Von Brüssel aus kommentierte der irische Premierminister Bertie Ahern die jüngste Entwicklung mit der Bemerkung „bizarrer geht’s nimmer“ und drückte damit die allgemeine Verwirrung aus. Denn falls Donaldson tatsächlich im Sold der britischen Geheimdienste stand, dann wurden die britischen Behörden im Oktober 2002 kaum überrascht. Gerüchteweise war am Wochenende allerdings zu vernehmen, Donaldson sei womöglich nicht der einzige britische Spitzel in der Führungsriege Sinn Féins gewesen. Unionistische Politiker in Nordirland haben inzwischen lauthals eine formelle Untersuchung der eigenartigen Affäre verlangt.

Martin Alioth[Dublin]

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