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Brandanschlag auf Stromnetz in Berlin: Wie gut ist Kritische Infrastruktur in Deutschland gesichert?
Kein Strom, keine Wärme, stehende Züge: Wie leicht ist es für Kriminelle, die kritische Infrastruktur in Deutschland anzugreifen?
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Tagelang legt ein Brandanschlag auf das Berliner Stromnetz rund 20.000 Haushalte lahm. Die Versorgung wiederherzustellen, gestaltet sich schwierig. Wie anfällig ist die kritische Infrastruktur in Deutschland? Wie leicht können Angreifer Strom- und Wasser-Versorgung, Verkehr und Heizungen lahmlegen? Und was tun politisch Verantwortliche, um die Versorgung im Alltag besser zu schützen?
Johannes Rundfeldt ist Sprecher der AG Kritis, einer unabhängigen Arbeitsgruppe, bestehend aus Experten für unterschiedliche Sektoren der Kritischen Infrastruktur in Deutschland. Rundfeldt sagte im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Man kann nicht in der Fläche des Landes alles hundertprozentig schützen. Es gibt derzeit noch keine Auflagen für Betreiber im Bereich des physischen Schutzes.“
Drohnen und Kameras könnten Anschläge nicht verhindern, sagte Rundfeldt. „Wichtiger ist daher, dass Netze so gebaut werden, dass nicht durch den Ausfall eines einzigen Punktes alles ausfällt – durch Resilienz und physische Sicherheit.“
Konkret heiße das: Man könne den Betreibern vorschreiben, Anlagen zu sichern. „In der Stromversorgung könnte man um Umspannwerke, Trafostationen oder Einspeisepunkte Zäune bauen und diese mit Alarmanlagen sichern“, sagte Rundfeldt. Damit ließen sich Sabotageversuche möglicherweise verzögern und Rettungskräfte könnten einen Brand wie in Berlin schneller löschen. Vielleicht ließen sich so sogar die Täter festnehmen.
Neben der Sicherung könne man für Alternativen sorgen, erklärte Rundfeldt. Ist ein Punkt gestört, könnten weitere Einspeisepunkte übernehmen. „Und zuletzt sollten Betreiber ausreichend Reparaturmaterialien und Personal in der Fläche des Landes vorhalten, um die Zeit von der Störung bis zum Reparaturbeginn zu reduzieren“, sagte Rundfeldt. Die Ukraine lebe das gerade sehr erfolgreich vor.
Wichtig sei dabei, Systeme schnell wieder ans Laufen zu bekommen. „Die wenigsten Bürger haben ja ein Problem damit, wenn der Strom mal zehn Minuten ausfällt“, sagte Rundfeldt. „Bei längeren Ausfällen wird es allerdings schwierig – dann fallen Kühlsysteme aus, Medikamente werden unbrauchbar.“
In der Realität würden die meisten Vorfälle allerdings nicht durch Sabotage wie offensichtlich in Berlin verursacht. „Häufiger reißt ein Bagger ein Kabel durch oder Naturkatastrophen verursachen Schäden. Mehr Resilienz in unserer Infrastruktur schützt uns auch vor Versorgungsausfällen durch solche Vorfälle.“
Anders sehe es bei der Wasserversorgung aus. Häufig seien Anlagen dort sehr alt, sagt der AG-Kritis-Sprecher. „Die Netze versorgen jeweils einen kleinen Bereich und können sich oft nicht gegenseitig unterstützen.“ Eine gewisse Sicherheit gibt es hier aber immerhin: „Wenn bakteriell oder mikrobiologisch etwas verändert würde, würde das allerdings sehr schnell entdeckt – das Wasser wird alle paar Stunden analysiert“, sagte Rundfeldt. Bei Gas und Öl wiederum könne man bei einem Schaden alternative Pipeline-Routen nehmen oder man könne auf Eisenbahn oder LKW umstellen.
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Vergleichsweise wenig kritische Infrastruktur gebe es im Straßenverkehr. Ein Einfallstor bei der Bahn: Die Kommunikation zwischen Stellwerk und Lokführer. Zwar ist die redundant angelegt. Viele Kabel verliefen allerdings entlang der Trasse, sagte Rundfeldt – etwa für den Bahn-Mobilfunk. „Eine einzelne Unterbrechung ist da noch nicht kritisch. Aber wird dieser Ring an zwei Stellen unterbrochen, führt das zum Stillstand des Zugverkehrs.“
Kritis-Dachgesetz
Verbessert werden soll der gesamte Schutz der kritischen Infrastruktur nun durch das Kritis-Dachgesetz, das am Mittwoch vom Kabinett beschlossen wurde. Betreiber sollen demnach verpflichtet werden, einen angemessenen Schutz ihrer Anlagen zu gewährleisten.
„Wir schaffen dafür einheitliche Mindeststandards, Risikoanalysen und ein Störungsmonitoring. Unser Ziel ist klar: Die Abwehrfähigkeit und Resilienz unserer kritischen Infrastrukturen muss gehärtet werden“, sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Das Gesetz sieht vor, dass zunächst die wichtigsten Betreiber identifiziert werden, dann sollen Risiken bewertet und Mindestanforderungen festgelegt werden. Allerdings gilt dies nur für Einrichtungen, die potenziell mehr als 500.000 Personen versorgen.
Die AG Kritis sieht in dem Gesetz keine echte Verbesserung. Rundfeldt sagte dem Tagesspiegel: „Die kritische Infrastruktur in Deutschland muss gesichert werden. Dafür taugt das nun vorgestellte Kritis-Dachgesetz allerdings überhaupt nicht.“

© dpa/Patrick Neumann
Der Sprecher der AG-Kritis begründete: „Da geht es lediglich darum, welche Behörden irgendwann eine Verordnung erlassen soll, aus der dann Pflichten für Betreiber folgen könnten.“ Inkrafttreten solle das Gesetz vollständig erst im Jahr 2030 – „so lange können wir nicht warten, unsere Infrastruktur besser zu schützen“, sagte Rundfeldt. Es werde zudem nicht festgelegt, bis wann die Verordnungen bereitstehen sollen.
Dazu komme, dass wesentliche Bereiche ausgenommen seien. „Länder und Kommunen sind überhaupt nicht adressiert“, sagte Rundfeldt. Bereiche wie die innere Sicherheit und Verteidigung seien pauschal ausgenommen, ebenso wie der Schutz vor Drohnen oder der Schutz der kommunalen Infrastruktur. „Der Oberhammer ist: Das Gesetz steht insgesamt unter Haushaltsvorbehalt.“ Entsprechende Strafen für Betreiber lägen zudem viel zu niedrig. „Dafür wird niemand eine Alarmanlage anschaffen. Dieses Gesetz wird Deutschland kurzfristig kein Stück sicherer machen.“
Konkreter wird es in Sachen Bevölkerungsschutz übrigens am Donnerstagvormittag mit dem sogenannten Warntag: Um elf Uhr wird laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit einem bundesweiten Probealarm die Systeme geprüft, wie jedes Jahr am zweiten Donnerstag im September.
Der Warntag dient dem Test der Warnsysteme. Dazu werden Fernsehen, Radio und Smartphones genutzt. In der Fläche zusätzlich Lautsprecherwagen und Sirenen. Anschließend können sich Bürger an einer Umfrage beteiligen und ihre persönlichen Erfahrungen mit der Aktion teilen.
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