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Der Hauptangeklagte Stephan Ernst wird in den Gerichtssaal geführt.

© Boris Roessler/dpa

Update

Haftstrafe gegen Stephan Ernst: Bundesgerichtshof erklärt Urteil im Mordfall Lübcke für rechtskräftig

Vor gut drei Jahren wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet. Nun hat der BGH sein Urteil über die Revisionen gesprochen.

Die Urteile zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sind rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe wies am Donnerstag alle dagegen eingereichten Revisionen ab.

Das Oberlandesgericht in Frankfurt am Main hatte den Rechtsextremisten Stephan Ernst für die Tat im Januar 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt, den Mitangeklagten Markus H. hatte es wegen eines Waffendelikts schuldig gesprochen.

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Das OLG sah es als erwiesen an, dass Ernst den CDU-Politiker am 1. Juni 2019 spätabends zu Hause auf dessen Terrasse aus nächster Nähe mit einem Kopfschuss getötet hatte. Er habe seinen Fremdenhass auf Lübcke projiziert, seit sich dieser auf einer Bürgerversammlung Jahre zuvor für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgesprochen hatte.

Die hessischen Grünen wollen Ernst nun im Untersuchungsausschuss des Landtags vernehmen. Nach der Bestätigung durch das Gericht bestehe für ihn kein Aussageverweigerungsrecht mehr, sagte die Landtagsabgeordnete Eva Goldbach am Donnerstag in Wiesbaden.

„Wir sind erleichtert, dass sich der Bundesgerichtshof dem Urteil des Oberlandesgerichts angeschlossen hat und Stephan E. als Mörder verurteilt bleibt“, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. „Das bedeutet auch, dass wir im Untersuchungsausschuss zum Mord an Dr. Walter Lübcke nun den Täter als Zeugen vernehmen können“, fügte sie hinzu. Ihre Partei erhoffe sich von der Vernehmung Erkenntnisse zu den Hintergründen der Tat und über die rechtsextreme Szene in Nordhessen.

Auch Urteil für Mitangeklagten bestätigt

Das OLG Frankfurt stellte eine besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung von Ernst nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen. Der heute 48-Jährige sitzt in Untersuchungshaft.

Den Mitangeklagten Markus H., einen Freund von Ernst aus der rechten Szene, verurteilte das OLG zu einer anderthalbjährigen Bewährungsstrafe wegen eines Waffendelikts – aber nicht wie von der Anklage gefordert wegen Beihilfe zum Mord an Lübcke. H. kam im Oktober 2020 frei. Der BGH bestätigte auch dieses Urteil.

„Die größte Gefahr für unsere Demokratie ist mehr denn je der Rechtsextremismus in allen Ausprägungen“, hob Goldbach hervor. Die Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss seien wichtig, um dieser Gefahr noch zielgerichteter und konsequenter zu begegnen.

Der Ausschuss hatte sich im Sommer 2020 konstituiert. Seine Aufgabe ist es, die Rolle der hessischen Sicherheitsbehörden im Mordfall Lübcke aufzuarbeiten.

Für Lübckes Familie „wird das nicht einfach“

Die Familie des Getöteten und die Bundesanwaltschaft monierten vor allem diese letzte Entscheidung des Frankfurter Gerichts. Sie sind überzeugt, dass der heute 46-Jährige eine wesentlich zentralere Rolle bei dem Attentat spielte.

Er habe mit Ernst schießen geübt und ihn letztlich in seinem Willen zur Tat bestärkt. Die Hinterbliebenen halten ihn sogar für einen direkten Mittäter. Die Angehörigen und die Bundesanwaltschaft hatten daher Revision eingelegt.

Die Ermordung ihres Mannes, des Vaters ihrer beiden Söhne, des Großvaters ihrer vier Enkel, gehöre nun zu ihrem Leben, sagte Braun-Lübcke. Die Familie müsse damit umgehen. Das gelinge mal mehr, mal weniger gut, sagte sie. „Mit diesem Mord ist nicht nur sein Leben zerstört worden, sondern auch unsere teilweise.“

Richter Schäfer erinnerte während der rund 45-minütigen Urteilsbegründung an die „eindrucksvollen Worte“. Diese blieben in Erinnerung, sagte er. Der Wunsch der Familie nach genauerer Aufklärung sei verständlich. Dass dies nicht geschah, habe aber an der konkreten Beweislage gelegen und nicht etwa am Unwillen des OLG.

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Die Familie müsse nun sehen, wie sie damit umgehe, sagte Sprecher Metz. „Das wird nicht einfach, aber es ist eine starke Familie.“ Sie halte zusammen. „Die Familie hat gleichzeitig einen großen Freundeskreis. Sie ist geborgen in ihrer Dorfgemeinschaft, auch in der nordhessischen Region.“ Die traurige Wahrheit aber bleibe: „Es wird kein Tag mehr so sein wie vorher. Und vieles bleibt offen.“

Walter Lübcke sei sein Leben lang mit all seiner Überzeugung und mit all seiner Kraft für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat eingetreten, erklärte Metz. Zu dieser Haltung gehöre auch, die Entscheidung des BGH zu akzeptieren, „auch wenn es sehr schwerfällt“.

Christoph Heubner vom Internationalen Auschwitz Komitee wertete das bestätigte Urteil gegen Rechtsextremist Ernst als „deutliches Signal an die Gesinnungsgenossen“. „Es ist jedoch mehr als bedauerlich, dass die Rolle von Markus H. bei der Vorbereitung und Durchführung des Mordes an Dr. Walter Lübcke nicht noch einmal vor Gericht durchleuchtet wird.“ H. könne nun weiterhin „in dieser nazistischen Welt des Hasses agieren“. Diese Entscheidung des BGH sei „eine fatale und bittere Tatsache, nicht nur für die Familie von Walter Lübcke“.

Angeklagter änderte seine Aussage mehrfach

Ernst selbst hatte seine Aussage in dem Frankfurter Prozess mehrfach geändert und H. zeitweise beschuldigt, mit ihm bei Lübcke gewesen zu sein und – so eine Aussageversion – sogar die Waffe gehalten zu haben. Die OLG-Richter hielten das jedoch nicht für glaubhaft.

In der mündlichen Verhandlung am BGH in Karlsruhe Ende Juli hatte die Witwe Irmgard Braun-Lübcke gesagt: „Für uns ist es wichtig, dass wir die ganze Wahrheit erfahren.“ Das bisherige Urteil lasse noch einige Fragen offen, „die wir gerne geklärt hätten“. Dabei gehe es vor allem um die letzten Minuten im Leben ihres Mannes: Gab es zum Beispiel noch einen Wortwechsel oder wurde er aus dem Hinterhalt erschossen?

Auch die Angeklagten gingen in Revision. Ernsts Anwälte etwa wandten sich gegen den Vorbehalt einer Sicherungsverwahrung nach der Haft.

Neben dem Fall Lübcke geht es in dem Verfahren noch um einen Angriff auf einen irakischen Asylbewerber. Jemand hatte den Mann Anfang 2016 attackiert und ihm ein Messer in den Rücken gestochen. Die Bundesanwaltschaft hält Ernst für den Täter, konnte die OLG-Richter aber nicht überzeugen. Das Opfer tritt ebenfalls als Nebenkläger auf. (dpa, epd)

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