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Mandarin verdrängt Uigurisch. Ein Bauer in der Nähe von Kashgar in Xinjiang passiert propagandistische Wandbilder, die ethnische Minderheiten mit dem Slogan «Einheit, Stabilität ist Glück, Separatismus und Unruhe sind Unglück» dazu auffordern, die Verfassung ui lesen.

© dpa

Menschenrechte in Xinjiang: Das große Trotzdem

Viel zu lange hat der UN-Bericht über Chinas Verbrechen an den Uiguren auf sich warten lassen. Doch ist er deshalb enttäuschend? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gregor Dotzauer

Bei Michelle Bachelet, der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, war es zwölf Minuten vor Mitternacht, als sie ihre letzte Genfer Amtshandlung vollzog und ihren Bericht zur Menschenrechtslage im chinesischen Xinjiang publizierte. Was das kulturelle Überleben der dort ansässigen, überwiegend muslimischen Uiguren und anderer ethnischer Minderheiten wie der Kasachen angeht, ist es längst fünf vor zwölf.

Eine unerbittliche Sinisierungspolitik, in der sich gewaltsame Umerziehung, die Zerstörung von Moscheen, beispiellose Überwachung und die gezielte Ansiedlung von Han-Chinesen verbinden, hat dem Turkvolk das Rückgrat gebrochen. Von Autonomie, wie sie die Region offiziell genießt, kann keine Rede sein.

Bachelets 48-seitiger Bericht, den China mit allen Mitteln zu verhindern suchte und umgehend mit einem dreimal so umfangreichen Dokument beantwortete, bringt in der Sache wenig Neues. Mit Blick auf die Jahre 2017 bis 2019 sammelt er in Gesprächen mit 26 ehemals dort Internierten Belastendes zu den so genannten „Berufsbildungszentren“ – ein Euphemismus, den Bachelet im Vorfeld der Veröffentlichung zum Ärger vieler Menschenrechtler übernommen hatte.

In der Vermeidung des Worts vom Genozid und in seinen konjunktivischen Formulierungen ist der Bericht zahm. Manche nennen die maßgebliche Verfasserin sogar mutlos. Nichtsdestotrotz trägt er das Siegel einer unabhängigen internationalen Organisation. Sein großer Vorzug ist überdies, dass er die juristischen Daumenschrauben benennt, die viele Maßnahmen erst ermöglicht haben. China muss sich nicht nur bei etwas ertappt fühlen, das es still und heimlich betreiben wollte, sondern zeigt offen sein drakonisches rechtliches Regime.

Zweifelhafte politische Folgen

Wenn aus dem Bericht politisch erst einmal nichts folgt, weil es weder eine mehrheitlich getragene UN-Resolution geben wird, noch eine solche über den Appell hinaus wirksam wäre, zwingt es doch zumindest Unternehmen wie Volkswagen mit höchster moralischer Autorität, seine Vogel-Strauß-Haltung an Standorten wie der uigurischen Hauptstadt Ürümqi zu überdenken. Das wiederum könnte politische Akteure beeinflussen.

Schon lange bevor die „New York Times“ im November 2019 die „Xinjiang Papers“ mit internen Regierungsdokumenten veröffentlichte, sogar lange bevor der deutsche Anthropologe Adrian Zenz im Mai 2018 die erste Studie zum massenhaften Bau von Umerziehungslagern vorstellte, war die Unterdrückung der Uiguren schwer übersehbar. Bis nach Peking, wo zahlreiche uigurische Restaurants einen falschen Frieden vortäuschen, waren auch perfekt assimilierte, flüssig Mandarin sprechende Uiguren Nachstellungen ausgesetzt.

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Aus chinesischer Sicht geht es um die Einhegung von Separatismus und Terrorismus. Dabei folgt man wie bei der Null-Covid-Politik einer Null-Toleranz- Politik, die lieber die gesamte Bevölkerung unterjocht, als den geringsten Zwischenfall zu riskieren.

Zugleich muss man die brutale Sinisierungskampagne – der Bericht deutet es an – im Kontext von Xi Jinpings Programmen zur Armutsbekämpfung verstehen. Der Preis, den das lange bettelarme Xinjiang dafür zu entrichten hat, ist hoch. Ihn in seinem ganzen Schrecken zu benennen, erfordert derzeit vielleicht weniger Mut als Beharrlichkeit. Mit großer Nüchternheit setzt Bachelets UN-Bericht auf Letzteres.

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