Politik: Das kalte Herz
Von Gerd Appenzeller
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Am Ende der wichtigsten Vernehmungen des BND-Ausschusses bleibt in der allgemeinen Beruhigung ein ungutes Gefühl. Bleibt der Eindruck einer perfekt eingespielten Maschinerie, die das von ihr geforderte Produkt zuverlässig liefert, bei der man aber niemals, wirklich niemals aus Versehen zwischen die Räder geraten möchte, weil man dann vielleicht jahrelange Pein erdulden muss und einfach in die Vergessenheit gestoßen wird. Die Maschinerie, das sind die deutschen Sicherheitsdienste, ist die staatliche Verwaltung bis in die Spitzen der Ministerien. Das Produkt, das sie hervorbringen sollen in turbulenten Zeiten, ist das Gefühl der Sicherheit für die deutschen Bewohner dieses Landes. Und die, die aus Versehen, vielleicht auch aus Dummheit und nicht grundlos zwischen die Räder geraten, heißen zum Beispiel Murat Kurnaz.
Otto Schily und Frank-Walter Steinmeier haben uns mit ihren Aussagen gestern das Bild eines stromlinienförmigen, störungsfrei funktionierenden Staates vermittelt, in dem jeder zu jeder Zeit seine Aufgabe mit großer Gewissenhaftigkeit erfüllt hat. Und sie haben ihre Zuhörer fühlen lassen, dass sie Zweifel an der Berechtigung ihres Tuns als so etwas wie Rufmord, Insubordination oder allenfalls lästiges Fragen betrachten.
Die bekannten Fakten geben dem Handeln des früheren und des jetzigen Ministers dennoch weitgehend Recht. Für Murat Kurnaz, den in Bremen geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Türken, trifft ein 200 Jahre alter Satz des französischen Staatsmannes Talleyrand zu: Hochverrat ist eine Frage des Datums. Wäre Kurnaz im Frühjahr 2001 nach Pakistan gereist, um eine Koranschule zu besuchen, hätte sich seine Wandlung zum radikalen Muslim im März oder April vollzogen – keiner hätte dem besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Aber das alles geschah wenige Wochen nach den zerstörerischen Attentaten des 11. September. Wer sich dann mit einem Freund, der in den Heiligen Krieg ziehen will, auf den Weg in das Herz des Islamismus macht, hat sich jeden Verdacht selbst zuzuschreiben. Dass die deutschen Geheimdienste, dass der Chef des Kanzleramtes, diesen Mann für gefährlich halten musste, liegt auf der Hand. Dass man sich damals nicht dafür verkämpfte, ihn aus Kuba herauszuholen, auch.
Aber dann, es begann im Oktober 2002, gibt es Risse in diesem so perfekt scheinenden Argumentationsgebäude der deutschen Behörden. Wenn ein hoher Beamter vorschlägt, über die Amerikaner aus Guantanamo den Pass von Kurnaz zu besorgen und die Seite mit der Aufenthaltserlaubnis geschickt herauszutrennen, dann klingt das nach dem „Leben der Anderen“ und nach Stasi – aber es sind Gedanken aus dem Verfassungsministerium einer Demokratie.
Zwischen 2002 und 2005 haben deutsche Stellen vermutlich mehr zur Verlängerung als zur Verkürzung der Guantanamozeit von Kurnaz beigetragen – ein Aufenthaltsort, von dem man wusste, dass er rechtsstaatlichen Normen Hohn spricht. Aber um das Rechtsverständnis der Amerikaner und das Desinteresse der Türkei an ihrem Landsmann ging es gestern nicht. Was gestern fehlte, und was einen frösteln macht, ist jedes Wort des Bedauerns über mögliche persönliche Mitschuld an den Ungerechtigkeiten, die Kurnaz zugefügt wurden. Dass diese und die vorige Regierung so frei von jedem Selbstzweifel, dass sie so arrogant sind, dass tut dann doch weh. Dieser Staat hat auch ein Herz, natürlich. Aber dieses Herz kann sehr kalt sein.
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