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Politik: Das kann doch nicht wahr sein

Von Stephan-Andreas Casdorff

Warum soll es anders aufhören, als es angefangen hat. Angefangen hat RotGrün mit Chaos, mit Stillosigkeiten, mit frappierend anmaßender Haltung. Und es scheint so zu sein, als solle es auch so enden. Gut, der Kanzler raucht die Cohiba nicht mehr in aller Öffentlichkeit, auch von dem Tuch, in das er sich hüllt, ist nicht mehr die Rede. Dafür aber muss die Rede sein von seinem, vom sozialdemokratischen Umgang mit unseren Verfassungsorganen.

Das Wort klingt so klinisch und so weit entfernt. Ist es aber nicht. Es geht um den Bundespräsidenten und das deutsche Parlament, beides erlebbare Größen, die zu achten jede Regierung verpflichtet ist. Dieser Ton ist zu getragen? Nein. Denn in diesem Pathos steckt die Wahrheit. Respekt vor der Verfassung und den sie tragenden Institutionen gehört zur Grundlage für das Funktionieren unserer – nach Weimar, nach dem Krieg – endlich errungenen stabilen Demokratie. Und wenigstens kann man sagen, dass Schröder und Co. enorm respektlos vorgehen.

Dass der Präsident aus dem Fernsehen erfahren muss, er soll demnächst das Parlament auflösen – das ist abenteuerlich. Mag schon sein, dass der Kanzler und seine Leute Horst Köhler nicht trauen, ihn für Partei halten. Aber hier geht es um das Amt, das höchste im Staat. Wenn dessen Inhaber einen politischen Coup sondergleichen gutheißen soll, ihm qua Amt die Verfassungswürde geben soll – wenn also Köhler das wie Hinz und Kunz zur Kenntnis erhält, dann lässt das fürchten: Die Dimension dessen, was geschehen soll, ist nicht erkannt.

Oder missachtet worden. Denn ungeheuerlich ist, dass die Regierung offenkundig billigend eine politische Unwahrheit in Kauf genommen hat. Und sie nimmt dafür den Bundespräsidenten in Anspruch! Bisher war verbreitet worden, der Kanzler habe den Präsidenten nachmittags vorab informiert. Das stimmt nicht. Es war eine Stunde nach Franz Münteferings Ankündigung. Und das ist schon ein Fall von politisch bedeutsamer Substanz. Nach allem, was zu erfahren ist, ist auch kaum zu glauben, dass der Kanzler den Präsidenten nicht früher hätte erreichen können. Wenn er denn nur alles darangesetzt hätte. Dafür ist nämlich Vorsorge getroffen; möglicherweise muss er es aber zwei- oder dreimal probieren. Und hätte Müntefering nicht einfach später reden können?

Nein, jetzt steht eine politische Lüge im Raum. Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland hat nichts vorher gewusst, er ist „überrascht“ worden. Dass er es selbst öffentlich macht und diesen Vorgang in der Zeitung, der WAZ, als „bemerkenswert“ einstuft, ist seine Art offizielles Dementi. Eleganter als eine Pressemitteilung, und formal etwas weniger konfrontativ, weil nicht auf offiziellem Papier. Aber ein Dementi dessen, was die Regierung behauptet, durch den Präsidenten persönlich – das erlebt die Republik auch nicht alle Tage.

Hinzu kommt noch, dass der Bundeskanzler „aus Respekt vor dem Parlament“ vorerst nicht sagen möchte, wie er zu Neuwahlen kommen will. Aber sein Verhalten, diese seltsame Geheimniskrämerei, mit der er zulässt, dass öffentlich über alles Mögliche spekuliert werden kann, so als hätte die Verfassung den Sozialdemokraten zu Willen zu sein – kurz: auch das spricht dem Gesagten Hohn.

Vielleicht hatte Gerhard Schröder weder am Wahlabend schon einen richtigen Plan, noch hat er ihn jetzt. Aber wenn er noch einen Rücktrittsgrund sucht – er hätte einen.

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