Politik: "Das Sammeln von Beweisen ist schwierig"
Über die Untersuchungen des in Den Haag angesiedelten internationalen Kriegsverbrechertribunals im Zusammenhang mit Berichten über Greueltaten im Kosovo sprach Caroline Fetscher mit der Chefanklägerin Louise Arbour.TAGESSPIEGEL: Was unternehmen Sie im Fall Kosovo?
Über die Untersuchungen des in Den Haag angesiedelten internationalen Kriegsverbrechertribunals im Zusammenhang mit Berichten über Greueltaten im Kosovo sprach Caroline Fetscher mit der Chefanklägerin Louise Arbour.
TAGESSPIEGEL: Was unternehmen Sie im Fall Kosovo?
ARBOUR: Wir haben Ermittler vor Ort, die gezielt Gespräche mit Flüchtlingen führen.Diese Arbeit ist sehr heikel, daher sprechen unsere Leute öffentlich nicht darüber.
TAGESSPIEGEL: Wieviele Ermittler sind in der Region?
ARBOUR: Auch das können wir nicht sagen.Es sind einige, ich wünschte es wären mehr.Viele unserer Leute sind augenblicklich noch mit Bosnien befaßt, wir können sie nicht einfach dort abziehen, während sie so gut eingearbeitet sind.Und mehr Personal bekomme ich nicht, unser Limit ist erreicht.
TAGESSPIEGEL: Worum geht es den Ermittlern?
ARBOUR: Die Sachlage ist hochkompliziert.Wir müssen Slobodan Milosevic und seinen Kollaborateuren direkt persönliche oder generelle Schuld nachweisen.Vom Ausmaß und der Beschleunigung der Ereignisse sind wir alle komplett überwältigt.Offenbar handelt es sich um die größten denkbaren Kriegsverbrechen.Aber Schuld nachzuweisen ist eine langwierige Prozedur.Wir versuchen uns, auf die eklatantesten Fälle zu konzentrieren, um vor Gericht stringentes Material zu haben, und das so rasch wie möglich, vielleicht noch während des Konfliktes.
TAGESSPIEGEL: Was geschieht, wenn während des Krieges Anklage gegen Milosevic erhoben wird?
ARBOUR: Da wir ein Gericht sind, dürfen wir uns nicht von persönlichen Erwägungen leiten lassen.Es wäre unangemessen für eine juristische Instanz, übertrieben sensibel gegenüber einem Prozeß zu sein, der außer Kontrolle geraten ist.Wir hoffen, daß unsere Arbeit das Recht durchsetzen und außerdem einen abschreckenden Effekt haben wird.Den können weitere Anlagen im Fall Bosnien bewirken wie auch eine Anklage gegen Milosevic.
TAGESSPIEGEL: Häufig ist davon die Rede, daß Milosevic als Verhandlungspartner womöglich noch gebraucht wird.Wäre das zulässig, wenn er unter Anklage stünde?
ARBOUR: Ich kann Politikern nicht verbieten, mit einem Verbrecher an einem Tisch zu sitzen.Sollte es darum gehen, daß Friedensverhandlungen mit ihm seine Kapitulation beinhalten, wäre es wahrscheinlich realistischerweise notwendig, sich mit ihm zu treffen, und nichts Unehrenhaftes.Ginge es bei den Verhandlungen um Amnestie, läge der Fall schon anders.Und sollte man trotz einer Anklage unter Ignoranz dieser Anklage verhandeln, wäre die Situation nicht zu tolerieren.
TAGESSPIEGEL: Was müssen Sie nachweisen, damit es zur Anklage kommt?
ARBOUR: Entweder die persönliche Schuld Milosevics oder seine Schuld an Kriegsverbrechen in seiner Eigenschaft als Inhaber des Kommandos über seine Generäle und Streitkräfte.Dabei genügt es nicht, die Befehlskette auf dem Papier nachzuweisen.Es muß bewiesen werden, daß der Angeklagte Kenntnis von den Verbrechen hatte oder Kriegsverbrecher nicht bestraft hat, oder die Verbrechen selbst angeordnet hat.Der Fall liegt allerdings hier klarer als in Bosnien, wo auf Mladic und Karadzic viel abgewälzt werden konnte.Trotzdem ist das Sammeln triftiger Beweise ein enorm langwieriger Prozeß.Wir sind dankbar für alle kooperativen Hinweise, auch durch die Medienvertreter vor Ort.