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Debatte um Krankmeldung ohne Attest: SPD plädiert für Vertrauen in Beschäftigte
Ärztefunktionär Andreas Gassen plädiert dafür, dass Arbeitgeber bei kurzen Erkrankungen kein Attest mehr verlangen dürfen. Im Koalitionsvertrag geht das Vereinbarte aber in die umgekehrte Richtung.
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Dieser Vorschlag dürfte vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gefallen: Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hat vorgeschlagen, die Regeln für Krankmeldungen arbeitnehmerfreundlicher zu machen.
Derzeit ist ein Attest in den ersten drei Tagen nicht unbedingt vorgesehen, Arbeitgeber können es aber verlangen. Dieses Recht will Gassen streichen und schlägt vor, den Zeitraum sogar auf vier oder fünf Tage auszudehen. Das hatte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ gesagt.
Die derzeitige Regelung führe zu abertausenden Arztbesuchen, die nicht zwingend notwendig seien, argumentiert Gassen und plädiert für eine Entlastung des Gesundheitswesens. Ihm zufolge würden pro Jahr etwa 116 Millionen Krankschreibungen ausgestellt. Gut ein Drittel gelte nur für höchstens drei Tage. Müssten diese Atteste nicht mehr ausgestellt werde, wäre das Gesundheitswesen seiner Schätzung nach um 1,4 Millionen Arbeitsstunden sowie Kosten von 100 Millionen Euro entlastet.
Die Beschäftigten wissen sehr wohl, wann eine Erkrankung ernsthaft ist.
Christos Pantazis, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion
Auch die Vorschriften für Kindkrank-Tage sähe Gassen gern gelockert. Derzeit braucht es hier ein Attest ab Tag eins, er schlägt vor, diese Pflicht bei kurzer Krankheitsdauer abzuschaffen.
Schwarz-Rot hat allerdings eine Vereinbarung getroffen, die in die umgekehrte Richtung geht. Im Koalitionsvertrag gibt es eine Verabredung zur telefonischen Krankschreibung, die für bis zu fünf Kalendertage bei leichten Erkrankungen möglich ist. Die Regelungen sollen so verändert werden, dass Missbrauch künftig ausgeschlossen ist. Konkret genannt ist die „Online-Krankschreibung durch private Online-Plattformen“.
So reagiert die SPD
Christos Pantazis, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte dem Tagesspiegel, wenn durch eine spätere Attestpflicht tatsächlich unnötige Arztbesuche vermieden und Kosten im dreistelligen Millionenbereich eingespart werden könnten, sei das prüfenswert. Er appelliere außerdem an die Arbeitgeber, die bestehende gesetzliche Regelung verantwortungsvoll zu nutzen. Schließlich gebe es schon heute die Möglichkeit, nicht sofort ein Attest zu verlangen.

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„Wogegen wir uns aber klar verwahren, ist der mögliche Versuch, solche Vorschläge als Einfallstor für die Einführung von Karenztagen oder Leistungskürzungen zu missbrauchen. Das wäre mit der SPD nicht zu machen“, sagte Pantazis außerdem. Karenztage meint, dass in den ersten Tagen einer Krankschreibung anders als derzeit kein Gehalt wird. Das war in den vergangenen Monaten diskutiert worden und könnte einen Anreiz setzen, auf möglicherweise nicht streng notwendige Krankschreibungen zu verzichten.
Pantazis plädierte für mehr Eigenverantwortung und Vertrauen. „Die Beschäftigten wissen sehr wohl, wann eine Erkrankung ernsthaft ist“, sagte er. Deutschland hat im europäischen Vergleich eine eher hohe Krankschreibungsquote.
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