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Hunderte Verhandlungstage gab es im NSU-Prozess.

© Peter Kneffel/dpa

Vor dem Urteil im NSU-Prozess: Demokratie lebt von Wachheit

Der NSU-Prozess war ein historisches Ereignis – und eine Wegmarke im Widerstand der Demokratie gegen Extremismus. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

An diesem Mittwoch ist es soweit. Ein Drama geht zu Ende, für viele eine Zumutung, für alle ein Lehrstück. Nach mehr als fünf Jahren Verhandlungsdauer wird im größten Terrorverfahren seit der Wiedervereinigung verkündet, wie die Taten von Beate Zschäpe und vier Mitangeklagten zu ahnden sind. Es endet die ungeheure Anstrengung des Gerichts wie der Ermittler, zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle der Terrorzelle NSU in eine fassbare Kategorie der Schuld einzuordnen.

Das ist ein historisches Ereignis. Wie der Prozess überhaupt. Das öffentliche Interesse wird wieder stärker. In den mehr als 430 Verhandlungstagen nach dem spektakulären Start war das selten der Fall. Die Bedeutung des Prozesses, für die Justiz, und für die in Deutschland oft beschworene wehrhafte Demokratie, wurde häufig im Gejammer über die vielen Befangenheitsanträge und die hohen Kosten des Verfahrens ausgeblendet.

Vielleicht wird dem Land erst lange nach dem Urteil bewusst, dass der NSU-Prozess nicht nur einen Kraftakt des Rechtsstaats darstellt, sondern auch eine Wegmarke im Widerstand der Demokratie gegen Extremismus. Die hunderte Verhandlungstage am Oberlandesgericht München stehen in Kontinuität zu den Verfahren gegen die RAF-Mitglieder. Und zu den Auschwitzprozessen in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik.

Heute geht es um die Morde einer Terrorzelle

Damals ging es darum, die monströsen Verbrechen von Altnazis zu ahnden. Gegen einen Zeitgeist, der noch nicht in der Demokratie angekommen war. Heute geht es um die Morde einer Terrorzelle, die in ihrer Dimension zwar nicht mit dem Schrecken der Nazizeit vergleichbar sind – doch zeigt schon der Name „Nationalsozialistischer Untergrund“ die Parallelen im Ungeist der Täter von jetzt und einst.

Und dennoch bleibt der Zeitgeist, obwohl sich Deutschland in den Jahrzehnten seit Beginn des ersten Auschwitzprozesses 1963 epochal verändert und auch mental demokratisiert hat, im Umgang mit dem NSU-Komplex leider schwierig.

„Demokratie verlangt Wachheit“, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Juli gesagt, in seiner Rede zum 50. Todestag von Fritz Bauer. Der weithin vergessene Staatsanwalt war die treibende Kraft bei den Auschwitzprozessen. Ohne den oft angefeindeten Mann wäre die Verfolgung der Naziverbrecher in der Bundesrepublik noch lange lahm geblieben. Bauer verkörperte Wachsamkeit im Dienste der Demokratie. Eine Tugend, wie sie bei der Justiz auch nach Bauer in den RAF-Verfahren zu spüren war. Und nun im NSU-Prozess.

Ein Staatsanwalt wie Fritz Bauer hätte dem Rechtsstaat gut getan

Ein Staatsanwalt wie Fritz Bauer hätte allerdings, das gehört zu einer ehrlichen Bilanz, dem Rechtsstaat gutgetan, als er in der Causa NSU lange säumig blieb. Als die Terrorzelle jahrelang töten konnte und Ermittler flapsig von „Döner-Morden“ sprachen, fehlte eine mahnende, maßgebliche Stimme, die den Horizont in Richtung Rassismus und rechten Terror hätte weiten können.

Bauer würde wohl auch die Enttäuschung über anhaltende Aufklärungsdefizite nach dem großen Prozess und vielen Untersuchungsausschüssen teilen. Die hartnäckige Kritik zeigt, dass in der Republik dem geschichtsvergessenen Gemurre über den angeblich irrsinnigen Aufwand des Oberlandesgerichts München die Wachsamkeit einer Minderheit gegenübersteht. Sie sieht sich an der Seite der von Schmerz und offenen Fragen gequälten Opferfamilien. Fritz Bauer wäre mit ihnen.

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