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Die Lehren aus dem Afghanistan-Abzug sind falsch: Demokratieexport bleibt eine gute Idee – für die betroffenen Menschen

Eine unselige Allianz aus postkolonialer Theorie und westlicher Politik sieht den „globalen Süden“ nicht reif für Freiheiten. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Afghanistan war der Ausgangsort des Massakers in New York am 11. September vor zwanzig Jahren. Kurz danach, Ende November, richtete das Auswärtige Amt auf dem Petersberg bei Bonn eine UN-Konferenz zu Afghanistan aus. Hauptgäste waren sechzig Frauen und Männer aller großen afghanischen Bevölkerungsgruppen.

Tagelang, nächtelang moderierte der algerische Diplomat Lakhdar Brahimi inmitten von Konflikten die ersten Pläne für eine Demokratie nach dem Terror und der Gender-Apartheid der Taliban. Spannungen lösten sich. Auf dem Petersberg produzierten Menschen eine unglaubliche chemische Reaktion: Adrenalin verwandelte sich in Hoffnung.

Heute blicken erhebliche Teile von Politik und Öffentlichkeit fast abschätzig auf das Projekt jener afghanischen Köpfe, die damals auf dem Petersberg von Demokratie träumten.

Während westliche Militärkräfte das Feld räumen, obwohl in Afghanistan nach Schutz gerufen wird für Schulen, Radiostationen, für jedes neue Gramm Freiheit, wird in demokratischen Staaten weise genickt. Man habe aus Fehlern gelernt, „Nationbuilding" sei eben nicht überall auf der Welt möglich, diese Lehre gälten auch für Staaten wie Mali.   

Die geschichtspolitische Wende spielt Diktatoren in die Hände

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs schien die Polarisierung zwischen West und Ost, Kapitalismus und Kommunismus, obsolet. Das Duell der Ideologien galt als beendet, das Modell demokratischer Rechtsstaat würde sich weltweit durchsetzen.

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Inzwischen erobert eine neue Dichotomie den Deutungshorizont. Der „Globale Norden“ wurde entdeckt als postkolonialer Unterdrücker des „Globalen Südens“. Diese geschichtspolitische Wende spielt allen in die Hände, die autokratische, autoritäre, diktatorische kurz, undemokratische Systeme, etablieren und legitimieren wollen, und zwar egal in welcher Himmelsrichtung.

„Muss es denn überall Demokratie sein? Mitnichten!“ lautet die für jene Leute frohe Botschaft westlicher Zerknirschung.

Es gibt keine besondere Gattung "Mensch der Südhalbkugel"

Was einst die erzreaktionäre Rede rassistischer Kolonialherren war, ist heute in anderer Form aus vielerlei Richtungen zu hören. Westliche Politik, postkoloniale Theorie und prominente Stimmen im „Globalen Süden“ sind sich oft genug einig: „Tribale Traditionen“ von Afghanistan bis Afrika, „islamisch geprägte Kulturen“ vom Maghreb über den Mittleren Osten bis Pakistan, seien womöglich „gar nicht fähig“ zur Demokratie, oder „noch nicht so weit“, oder sie würden gar „davon überfahren“. Als gäbe es Südhalbkugelmenschen, und als seien sie eine andere Art der Gattung.

Das ist Musik für die Ohren der Taliban. Furchterregend aber klingt das für all diejenigen, die in den angeblich demokratieunfähigen Regionen des Globus in Haftzellen sitzen, gefoltert oder an Kränen aufgehängt werden, weil sie für Demokratie streiten, weil sie schwul sind, weil sie ein Schmähwort gegen einen pompösen Herrscher oder Kleriker verwendet haben oder den Kriegsdienst in deren Namen verweigern. Irgendwie passen sie nicht ins neue Konzept.

An sich ebensowenig wie die preisgekrönte bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić, deren neuer Film „Quo vadis, Aida“ für einen Oscar nominiert ist. Er handelt vom schlimmsten Massaker in Europa nach 1945, von Srebrenica, im Bosnienkrieg. Und Žbanić sagte dazu neulich in einem Interview: „Srebrenica erzählt davon, was in Europa wieder passieren kann, wenn wir unsere demokratischen Institutionen nicht pflegen.“ Afghanistan droht bald davon zu erzählen, was passiert, wenn man halbfertige demokratische Institutionen wieder zerfallen lässt, wenn aus Trümmern, die Häuser wurden, wieder Trümmer werden.

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