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Politik: Demonstranten am Zug

In Schanghai werden Familien für ein Transrapid-Projekt umgesiedelt – es formiert sich Widerstand

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Als Herr Wang vor zwei Jahren seine Wohnung im Schanghaier Minhang-Bezirk kaufte, glaubte er, ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Die 130-Quadratmeter-Wohnung liegt im ersten Stock eines hübschen blauen Neubaus. Umgerechnet 100 000 Euro, seine ganzen Ersparnisse, steckte Herr Wang damals in die Wohnung. Ende Februar, ein Tag nach dem Frühlingsfest, erhielt er einen Anruf vom Wohnungskomitee. Die Wohnanlage „Garten südlich des Flusses“ stehe einer neuen Transrapidstrecke im Weg, erklärte man ihm knapp. Sein Haus werde abgerissen, vermutlich im Juni. Herr Wang ist schockiert. „Die Regierung hat uns nie gefragt, ob wir den Transrapid wollen“, ärgert er sich.

Wie Herr Wang wurden in den vergangenen Tagen Tausende Familien von der Nachricht überrumpelt, dass der Transrapid künftig durch ihre Nachbarschaft fahren wird. Die genauen Pläne des Projekts sind noch geheim. Auch das deutsche Transrapid-Konsortium aus den Firmen Siemens und ThyssenKrupp, die seit Jahren mit Schanghais Stadtregierung über eine Verlängerung der bestehenden, 30 Kilometer langen Magnetschwebebahn von Flughafen Pudong verhandeln, zeigten sich überrascht. Noch wurde nämlich kein Vertrag unterzeichnet.

Schanghais Stadtobere wollen das Projekt offensichtlich noch vor der Weltausstellung 2010 durchziehen. In drei Stadtbezirken Pudong, Xuhui und Minhang entlang der geplanten Strecke wurden in den vergangenen Tagen amtliche Aushänge aufgehängt, in denen die Bürger über den Streckenbau in ihrer Nachbarschaft informiert wurden. Entgegen der bisherigen Planung wird ein Teil der Transrapidstrecke, eine 24 Kilometer lange Nebenverbindung vom Südbahnhof zum Stadtflughafen Hongqiao, durch dicht bebautes Wohngebiet führen. Zehntausende Menschen leben dort entlang der künftigen Schwebebahn. Noch ist unklar, wie viele dem Großprojekt weichen müssen.

Die Anwohner laufen Sturm gegen die Planung. In mehreren Wohnanlagen hängten Bewohner Protestbanner auf. „Bürgermeister Han Zheng. Bitte retten Sie uns!“, stand in roten Schriftzeichen vor einem Hochhausviertel. Innerhalb weniger Tage bildeten sich mehr als zehn Internetforen, in denen sich die Betroffenen organisieren und eine Petition gegen die Pläne verfassten. Sogar eine eigene Webseite mit dem Slogan „Jujue Cixuanfu“ („Den Transrapid ablehnen“, www.no-cf.org) gibt es bereits. Der Protest ist ein Beispiel dafür, dass Chinas Behörden nicht mehr so leicht wie in der Vergangenheit über die Köpfe der Bürger hinweg über Großprojekte mit Massenumsiedlungen entscheiden können. Auf dem Volkskongress in Peking wird derzeit über ein neues Eigentumsgesetz beraten, das künftig die Rechte der Chinesen bei Zwangsenteignungen stärken soll.

„Die betreffenden Abteilungen hätten uns schon viel früher informieren müssen. Das wäre das Grundprinzip gewesen. Stattdessen hat die Regierung uns Bürger betrogen“, schrieb ein Anwohner im Internetforum Soufun. „Bis jetzt hat man uns nicht informiert, wann wir umgesiedelt werden“, sagt Herr Wang, der wie alle Interviewten aus Angst vor den Behörden nur seinen Familiennamen nennt. Rund 60 Familien in seiner Anlage würden ihre Wohnungen verlieren. Noch weiß niemand, wie hoch die Entschädigungen sein werden.

Harald Maass[Peking]

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