zum Hauptinhalt

Politik: Der Bundespräsident zur Spendenaffäre der CDU und zu seinen Flügen mit der WestLB

Johannes Rau (69) wurde im Mai zum deutschen Bundespräsidenten gewählt. Fast zeitgleich zur CDU-Spendenaffäre wurde ihm vorgeworfen, in seiner Zeit als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen auf Kosten der WestLB privat oder im Dienste seiner Partei geflogen zu sein.

Johannes Rau (69) wurde im Mai zum deutschen Bundespräsidenten gewählt. Fast zeitgleich zur CDU-Spendenaffäre wurde ihm vorgeworfen, in seiner Zeit als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen auf Kosten der WestLB privat oder im Dienste seiner Partei geflogen zu sein. Über Schuld und Parallelität der Ereignisse sprachen mit dem Bundespräsidenten Giovanni di Lorenzo, Gerd Appenzeller und Thomas Kröter

Herr Bundespräsident, alle Welt wartet in diesen Tagen auf Ihr Wort. Ist ihnen diese Erwartung bewusst?

Ja. Und ich versuche, sie zu erfüllen - etwa in einem Interview wie diesem. Aber es gibt nicht das befreiende Wort des Bundespräsidenten. Auf keinen Fall kann es Aufklärung und Konsequenzen ersetzen. Der Bundespräsident muss versuchen, langfristige Folgen anzusprechen und Fragen zu formulieren. Das tue ich. Ob ich alle Erwartungen erfülle, weiß ich nicht. Der Bundespräsident kann nichts lösen. Das können nur jene, die in praktischer Verantwortung für das Geschehene standen oder stehen.

Richtet sich der Blick auch deshalb auf den Präsidenten, weil es ein Autoritätsvakuum gibt, wenn eine so staatstragende Partei wie die CDU in der Krise steckt?

Auch das spielt eine Rolle. Aber ich glaube, dass es um mehr geht als um die Krise einer Partei. Wir haben keine Staatskrise, aber das Parteiengefüge ist gefährdet. Wir müssen ein Interesse daran haben, intakte und integrierende Volksparteien zu behalten. Wenn eine auch nur zum Teil ausfällt, ist das ein Schaden für alle.

Sie äußern sich zu den Folgerungen aus der Affäre sehr vorsichtig. Liegt das auch daran, dass sie befürchten: Wir kennen das ganze Ausmaß noch nicht?

Nein. Unabhängig von dem, was noch kommen könnte, lassen sich schon jetzt ein paar Grundregeln sagen. Es ist zu früh zu sagen, ob Gesetze geändert werden müssen, aber es lässt sich sagen, dass die bestehenden Gesetze nicht eingehalten worden sind, dass sie aber eingehalten werden müssen - und dass Transparenz zur Demokratie gehört.

Geht es erst zunächst um moralische oder um gesetzliche Grundregeln?

Um gesetzliche. An erster Stelle steht der Satz: Niemand steht über dem Gesetz. Das gilt für Parteivorsitzende wie für Bundespräsidenten.

Ein erlösendes Wort wird von Ihnen auch in eigener Sache erwartet.

Ich weiß. Und ich habe es gesagt: Ich habe mich rechtlich einwandfrei verhalten. Aber ich würde heute manches so nicht wieder tun. Ich habe Fehler gemacht. Die Nähe zwischen Landesregierung und Landesbank war sicher, was die Fluggeschichten anging, zu groß.

Wie empfinden Sie die Art, in der jetzt nachgefragt wird? Würden auch Sie von einer Hetzjagd sprechen?

Nein. Aber es gibt da manche Sinnestäuschung. Ich habe zum Beispiel durch eigene Nachfrage am 13. Januar erfahren, dass ich dem Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags einen Bericht vorlegen soll. Er hat sich nicht an mich gewandt. Ich habe den Bericht am 24. Januar vorgelegt und am 27. einige Erläuterungen. Seitdem wird mir "scheibchenweise Offenbarung" vorgeworfen. Ich verstehe das nicht.

Vielleicht liegt es an der Parallelität der Affären.

Ist das Parallelität oder der Versuch der Entlastung?

Die Leute stört vor allem der Eindruck, dass immer nur eingestanden wird, was nicht mehr geleugnet werden kann.

Nicht in meinem Fall. Ich bin mit der WestLB 45 Mal in 13 Jahren geflogen. Dreieinhalb Flüge pro Jahr. Nicht einen habe ich gemacht, ohne dass meine Sicherheitsbeamten dabei waren oder dass die Polizei mich zum Flugzeug gebracht hat und wieder abgeholt hat, und ohne dass Mitarbeiter dabei waren. Ich habe doch nichts verborgen.

Sie bemühen sich um konsequente Aufklärung. Dann stellen sie fest: Es kommt nicht so recht rüber. Macht Sie das bitter?

Zunächst ja. Aber das verliert sich mit der Zeit, wenn man viel Zustimmung findet. Ich bin sehr dankbar dafür und für die Differenzierung gegenüber der Parteispendenaffäre, die ich aus allen Lagern erfahre. Aber dann kommen die Nachrichtenmagazine wieder mit irgendwelchen Flügen. Und dann muss man dem wieder nachgehen.

Sie brauchen also Zeit.

Ich will Ihnen zwei Beispiele erzählen: Da gab es die Anfrage, ich sei zu einer Feier geflogen. In der Liste steht das, in meinem Kalender nicht. Was ist geschehen? Ich war als Redner vorgesehen, bin aber krank geworden. Das steht natürlich nicht auf der vorher erstellten Liste. Oder: Da steht in einem Magazin, als Vorsitzender des Aufsichtsrates der Lufthansa hätte ich Freiflugrecht in der ersten Klasse, aber trotzdem den bequemen Hubschrauberflug von Düsseldorf nach Hamburg vorgezogen. Erstens sind Polizeihubschrauber nicht bequem, zweitens gibt es im Inland keine Erste-Klasse-Flüge. Aber zum Sachverhalt: Nach 17 Jahren wurde ich als dienstältestes Aufsichtsratsmitglied der Lufthansa verabschiedet. Fast zur gleichen Stunde gab Wolfgang Clement in Düsseldorf seine erste Regierungserklärung als mein Nachfolger ab. Wie wirkte es in Nordrhein-Westfalen, wenn der Vorgänger nicht dabei ist? Wie wirkte es bei der Lufthansa, wenn das dienstälteste Aufsichtsratsmitglied bei seiner Verabschiedung fehlt? Also habe ich mich nach Clements Rede in den Hubschrauber gesetzt und bin gerade rechtzeitig in Hamburg angekommen. Die Folge: Die CDU stellt eine Anfrage, in der sie alle Hubschrauberflüge der Landesregierung prüfen will.

Aber jetzt gibt es auch den Vorwurf von Privatflügen.

Der stimmt nicht.

Aber warum gehen Sie etwa mit einer Reise am 23. Dezember nicht offensiver um? An diesem Datum hat jeder Vater der Welt das Recht, zu seiner Familie zu fliegen.

Der Ausschuss hat mich nach meinen Flügen und ihrem dienstlichen Anlass gefragt. Das haben die Anwälte beantwortet. Am 23. Dezember haben sie eingetragen: Düsseldorf - Lydd - München. Anlass: Die Feier zum 75. Geburtstag von Helmut Schmidt in Südengland. Worauf ich nicht gekommen bin, ist die nachträgliche Interpretation, dass ich Düsseldorf - Lydd - Düsseldorf hätte fliegen müssen und danach nach München reisen. Dass der Flug als einer in den Urlaub gewertet würde, die Idee hatte ich nicht.

Die WestLB hat ihrer Chartergesellschaft bis vor kurzem bis zu 60 000 Mark für einen Inlandsflug bezahlt. Wie können solche Machenschaften so lange fortdauern?

Das habe ich nicht gewusst. Das war auch nicht meine Aufgabe. Ich bin davon ausgegangen: Die WestLB hat einen Vertrag mit der Firma und die Landesregierung verrechnet das mit der WestLB. Ich bin immer nur aus Terminzwängen geflogen.

Lassen Sie den Begriff Filz im Zusammenhang mit SPD und Nordrhein-Westfalen gelten?

Tja, das kann ich nicht generell beantworten. Natürlich gibt es solche Symptome. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich immer versucht habe, dem zu widerstehen.

Geht das in einer so langen politischen Tätigkeit?

Ja.

Wird man nicht betriebsblind?

Man braucht gute Freunde, die einen davor bewahren. Die habe ich immer gehabt.

Freunde außerhalb der SPD?

Selbstverständlich auch außerhalb der SPD.

Themenwechsel: Fragen wir nach Ihrem Amtsverständnis. Was hat ein Bundespräsident in solchen Zeiten zuallererst zu leisten?

In solchen Zeiten - das bezieht sich wieder auf die Skandale und die Aufklärungsversuche. Aber das ist nur eine sehr eingeschränkte Sicht. Es gibt darüber hinaus eine andere, viel größere Wirklichkeit. Der Bundespräsident hat darauf zu achten, dass auch sie gesehen wird. Er muss mit gesellschaftlichen Gruppen sprechen, sich - um nur einige aktuelle Themen zu nennen - mit Entwicklungshilfe beschäftigen und sich für die Entschädigung von Zwangsarbeitern einsetzen. Gerade habe ich in Davos mit Juden und Moslems über den Zusammenhang von Weltreligionen und Weltfrieden gesprochen - das alles muss der Bundespräsident tun.

Welches Amtsverständnis haben Sie? Der Begriff von der Aufgabe des Bundespräsidenten hat sich über die Jahrzehnte verändert. Lange war er geprägt vom Misstrauen gegenüber dem Volk der Deutschen, das Demokratie erst noch lernen musste.

Nach meinem Eindruck haben die Deutschen inzwischen gelernt, dass gute Nachbarschaft nach innen und außen wichtig ist. 1972 hat Willy Brandt diesen Gedanken in seiner Regierungserklärung ausgedrückt: Wir wollen ein Volk guter Nachbarn sein. Bei meinen Besuchen, ob in Polen oder Tschechien, in Frankreich oder den Niederlanden ging es mir darum, Deutschland als ein Land darzustellen, das ein guter Nachbar ist und seine Einbindung in Europa wünscht und stärken möchte. Ich glaube schon, dass der Bundespräsident so etwas ist wie ein herausgehobener Botschafter der Deutschen. Dazu kommt innenpolitisch der Hinweis darauf, dass Gerechtigkeit nie eine Zustandsbeschreibung ist, sondern ein Ziel, das im Streit unterschiedlicher Interessen und Auffassungen erreicht wird. Ich will helfen, dass es uns nicht aus dem Blick gerät.

Ihre beiden Amtsvorgänger hatten Generalthemen: Bei Richard von Weizsäcker war es die Beschäftigung mit der Vergangenheit, bei Roman Herzog die gesellschaftliche Modernisierung. Wird die Frage der Gerechtigkeit das Thema sein, das man einmal mit Bundespräsident Johannes Rau verbindet?

Eins der Themen. Ich glaube nicht, dass man im Vorhinein sagen kann: Das wird mein Thema. Weizsäcker hat seine große Rede ein Jahr nach der Amtsübernahme gehalten. Bei Herzog hat es drei Jahre bis zu seiner Ruck-Rede gedauert. Es gibt Themen, die sind mit mir verbunden. Dazu zählt das deutsch-israelische Verhältnis oder das christlich-jüdische. Andere ergeben sich nicht nur aus meiner Biografie, sondern auch aus der Geschichte der letzten Jahre: Das ist die deutsche Einheit. Was mir persönlich besonders am Herzen liegt, ist auch die Begegnung zwischen den Generationen.

Sie sind spät Vater geworden.

Richtig. Und ich komme aus der Bildungspolitik. Mich interessiert die Entwicklung unseres Menschenbildes und unserer Maßstäbe. Wie verhalten sich Information und Internet zueinander? Welchen Bildungskanon brauchen wir? Welche ethischen Minimalpositionen gibt es in einer pluralistischen Gesellschaft? Was tun wir, damit das Wort "multikulturell" nicht zum Angstbegriff wird? Wie schaffen wir eine Gesellschaft, in der man ohne Angst verschieden sein kann, wie Theodor W. Adorno gesagt hat? Welche Frage nach fünf Jahren die prägende war - das sollen andere bewerten.

Sie beenden die von Herzog begründete kurze Tradition einer wegweisenden Rede im Hotel Adlon und wechseln ins Haus der Kulturen der Welt. Warum?

Ich will dem Adlon nichts Böses. Aber das Haus der Kulturen liegt mir näher.

Sie lehnen es ab, sich zu inszenieren. Aber die Wahl eines Auftrittsortes ist doch ein Symbol, also Inszenierung. Muss man in der Welt der Bilder sich nicht zwangsläufig ein Stück weit inszenieren?

Ja. Aber da kommt es auf die Worte an: Ein Stück weit. Ich kann nicht sagen: So, nun fahre ich auf die Westerplatte nach Polen. Da halte ich eine Rede, und wenn die Fotografen sich richtig aufgestellt haben, werde ich dem polnischen Präsidenten die Hand drücken. Ein Foto inszenieren wie Helmut Kohl in Bitburg oder Verdun - das kann ich nicht. Wenn ein Foto Verbreitung findet, habe ich nichts dagegen. Ich bin aber lieber im Haus der Kulturen als in einem Hotel. Ich suche auch einen anderen Personenkreis.

Welchen?

Multiplikatoren, nicht Honoratioren.

Warum bewegt Sie in diesen Zeiten so das Thema Gerechtigkeit. Haben sie Sorge vor den entfesselten Kräften des Marktes?

Ich habe Sorge, dass wir die Prinzipien des Marktes, die für die Wirtschaft unverzichtbar sind, auf die übrigen Lebensbereiche kritiklos übertragen.

Zum Beispiel?

Wenn ich nur noch den Wettbewerb um die besten Karrierechancen habe, wird die Schule zu einer schrecklichen Anstalt und die Universität noch mehr. Wen wir nur nach Berufsaussichten gehen, die noch nicht einmal über fünf Jahre gesichert sein können, verlottert der Begriff der Bildung. Ich wünsche mir nicht Analphabeten, die lesen und schreiben können. Wenn es nur noch um Karriere geht, bekommen wir eine Gesellschaft, in der Minderheiten an die Seite gedrückt werden. Wir müssen sie aber in die Mitte holen. Und wir dürfen nicht den Leistungsbegriff in allen Lebensbereichen obenan stellen. Der Mensch bezieht seine Würde nicht aus der Leistung, sondern aus dem Menschsein.

Minderheiten in die Mitte holen - wen meinen Sie - die nicht so viel verdienen, nicht so viel leisten?

Auch. Aber auch die, die noch nichts leisten, die Kinder, und die nicht mehr leisten können, die älteren Menschen.

Wir haben über Ihre Reisen gesprochen. Sind Sie froh, in diesen Zeiten, dass Sie schon in Österreich waren?

In Österreich war ich als Erstes. Zurzeit hätte ich keine Neigung, nach Wien zu reisen.

Was würden Sie in ähnlicher Situation tun?

Die Verfassungslage ist doch recht unterschiedlich, gerade was die Rolle des Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung angeht. Ich kann mir bei uns eine vergleichbare Situation nicht vorstellen.

Haben Sie Angst, dass Raum wäre für eine neue rechte Sammelbewegung, wenn die CDU ernsthaft Schaden nähme?

Mindestes für Zerfaserungen am Rande. Ob das zu einer Sammelbewegung führte - das hängt von vielen Umständen ab.

In Berlin über Politik zu reden, heißt auch, über Politik und Medien zu reden. Hat sich mit dem Wechsel von Bonn deren Verhältnis zueinander so verändert wie manche Beobachter meinen?

Ja. Es gibt vor allem viel mehr Journalisten, Fotografen und Kamerateams. Es gibt auch eine erkennbare Verjüngung. Der kritische Journalismus, den wir haben, wird gebraucht. Ich neige nicht zur Medienschelte, ich füge aber hinzu: Es gibt Ausreißer, die im Kampf um die Auflage dem Metier keine Ehre antun.

Möchten Sie ein Beispiel nennen?

Nein.

Gibt es diese Ausreißer im Zusammenhang mit der Spendenaffäre?

Da finde ich den aufklärerischen Wert insgesamt hoch.

Und bei der Flugaffäre?

Da habe ich ein paar Dinge als Ausreißer empfunden. Aber ich will nicht selbstgerecht sein.

Nach dem Ende ihrer Amtszeit als Ministerpräsident haben sie gesagt, Sie seien an einem Punkt, dass Sie sich nichts mehr beweisen müssten. Könnte es einen Punkt geben, wo Sie sagen: Jetzt reichts, das muss ich mir nicht mehr antun?

Natürlich stöhnt man gelegentlich, wenn man sich verzerrt dargestellt findet, aber die Freude am Amt überwiegt und die Freude über das Vertrauen, das ich spüre.

Herr B, espräsident[alle Welt wartet in die]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false