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Politik: Der hohe Ton klingt falsch Von Tissy Bruns

Die Grünen haben in ihrer kurzen Geschichte ein einmaliges Kunststück fertig gebracht, das ihnen jetzt zur Falle wird. Sie können die höchst irdischen Notwendigkeiten der Machtausübung ohne Umwege mit der Gewissheit vereinbaren, die besseren Menschen zu sein.

Die Grünen haben in ihrer kurzen Geschichte ein einmaliges Kunststück fertig gebracht, das ihnen jetzt zur Falle wird. Sie können die höchst irdischen Notwendigkeiten der Machtausübung ohne Umwege mit der Gewissheit vereinbaren, die besseren Menschen zu sein. In der Person des Außenministers verdichtet sich das zu einem ganz eigenen Hochmut. „Nur dieser Mann kann Joschka Fischer stürzen“, titelte „Die Zeit“ neben einem FischerKonterfei. Das ist scharfsinnig – und doch auch hochmütig, weil es dem grünen Spitzenmann eine Macht zuspricht, die in der Demokratie niemand hat. Über Fischers Zukunft wird der Untersuchungsausschuss entscheiden, wenn er ihm Rechtsverletzungen nachweisen kann – oder die Basis, die ihn trägt, die grüne Partei.

Der alte Lehrsatz, wonach einer nur stürzt, wenn sein eigenes Lager ihn fallen lässt, erfährt dabei eine interessante Umkehrung. Für Fischer ist gefährlich, dass sein eigenes Lager ihn gar zu trotzig verteidigt und von ihm nicht die Bescheidenheit verlangt, die nötig wäre. Erst in Kombination mit der durchschnittlichen grünen Selbstgefälligkeit hat Fischers Gestus der Unangreifbarkeit in die Sackgasse geführt, in der jetzt beide stecken. Die Grünen sehen mit der Visa-Affäre ihre Vorstellung vom weltoffenen Land angegriffen; dafür leidet, mahnt, streitet Grünen-Chefin Claudia Roth. Ein massiver Ausdruck verfolgter Unschuld und fundamentalen Rechthabens steht in ihrem Gesicht, wenn sie für das Gute ficht, wo es in Wahrheit um Verwaltungsvorgänge, Fehler und Verantwortung geht. Kurzum: Die Grünen ideologisieren. Doch, wie immer, wenn es um handfeste Fragen geht, klingt der hohe Ton falsch; das Publikum hört ihn verstimmt.

Den anderen wär das nicht passiert. Nicht den gegenwärtigen Oppositionsparteien, die ihre eigenen Verblendungen haben. Sie fühlen sich vor allen anderen zum Regieren, zur Macht berufen – weshalb die Union vor vier Jahren der Versuchung nicht widerstehen konnte, den Streit um den Straßenkämpfer Fischer in einer Weise zu überhöhen, die ihn schließlich zum Sieger gemacht hat. Dass „so einer“ nicht Minister sein dürfe, bedachte die Öffentlichkeit mit der vernünftigen Antwort, dass die Demokratie dem bekehrten Sünder die zweite Chance geben muss. Ein Fehler dieser Art liegt Christ- und Freidemokraten bei dieser Affäre fern. Wer so lange regiert hat, der hat erlebt, wie viel dabei danebengehen kann, der bleibt in Deckung, vergräbt sich in Akten und forscht nach Unheil im kleinsten Detail.

Bedachter als die Grünen ist sogar die SPD, obwohl sie mit ihrem Koalitionspartner die Lebenslüge teilt, dass auf der linken Seite der Gesellschaft die besseren Menschen versammelt sind. In der SPD tobt traditionell der innere Konflikt zwischen Gestaltungswillen und Oppositionsgeist. Regierende Sozialdemokraten leiden ständig unter der Frage, ob die Macht den Menschen verdirbt, weil ihre Partei sie ihnen, manchmal nervtötend kleinkariert, stellt. Die Grünen hingegen kultivieren auch an der Macht ihren Bessere-Welt-Impuls – im Visa-Fall personifiziert in Fischer und der sekundierenden Claudia Roth.

Nicht nur, weil demokratische Staatsgewalt sich grundsätzlich Grenzen fügen muss, wirkt die Berufung auf höhere Ziele bei den Grünen jetzt so läppisch. Wer, mit der Macht in Händen, die Fragen nach Menschenschleppern für eine Zumutung hält, verrät ihn geradewegs, den alten Traum von der freien Menschengemeinschaft.

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