Politik: Der Job ist Arbeit
Von Stephan-Andreas Casdorff Wenn Zahlen schreien könnten, wäre jetzt Gebrüll in Deutschland zu hören. Die Arbeitslosenzahlen sind zwar nicht auf einen neuen Rekord gestiegen, aber doch wieder auf ein saisonales Hoch.
Von Stephan-Andreas Casdorff
Wenn Zahlen schreien könnten, wäre jetzt Gebrüll in Deutschland zu hören. Die Arbeitslosenzahlen sind zwar nicht auf einen neuen Rekord gestiegen, aber doch wieder auf ein saisonales Hoch. Ganz besonders schlimm sieht es im Osten Deutschlands aus. Noch nie seit der Einheit waren dort so viele Menschen ohne Job. Was zugleich für viele heißt: ohne Aussichten auf eine gute Zukunft. Wie kann da der Kanzler Hoffnung haben, wiedergewählt zu werden?
Das Sein bestimmt das Bewusstsein, richtig. Aber Karl Marx hilft nur insofern weiter, als er klar macht, dass Ideologien keine Arbeitsplätze schaffen, und dass das wirkliche Sein immer genau betrachtet werden muss. Also der Osten. Da gibt es Regionen, in denen Monostrukturen weggebrochen sind, und mit ihnen viele Arbeitsplätze. Aber es gibt, tatsächlich, trotz allem, blühende Landschaften. Und Wachstum in der Wirtschaft, „robustes“, wie die Experten sagen. Um der Gerechtigkeit willen: In den letzten zwölf Jahren ist so ziemlich alles anders geworden, etliches davon wirklich besser. Im Dresdner Land, im Wartburgkreis, ja, auch südlich von Berlin wächst etwas, und es lassen sich noch mehr Beispiele finden, wo neue Arbeitsplätze entstanden sind. Wenn nur die Probleme der Bauwirtschaft nicht so groß wären, dann würden das alle sehen.
Geht es am Bau nicht voran, trifft das den Osten doppelt hart, bei der Infrastruktur und den Arbeitsplätzen. Vor diesem Hintergrund kommt die Union gerade recht mit der Idee, von dem Geld, das die EU Deutschland zurückzahlen will, eine Milliarde Euro zu nehmen, um Infrastruktur in Ostdeutschland zu fördern. Bloß kam auf diese Idee auch schon die SPD. Dahinter steht die allgemeine Erkenntnis, dass nicht zuletzt die Anbindung von Betrieben gut sein muss, damit am Standort D-Ost die gewerbliche Wirtschaft ordentlich wachsen kann. Das war doch das Ziel des Verkehrswegeplans Deutsche Einheit: dass Jobs zu den Menschen kommen – nicht, dass Hunderttausende pendeln müssen, bis zu Hunderte Kilometer weit. Wer will so viele Nomaden der Arbeit? Klar, auch im Westen wird gependelt. Aber es dürfen keine Massen sein. Erst dauerhafte Arbeit in der Region sichert langfristig sozialen Zusammenhalt. Alles andere wäre Illusion.
Das Job-Aqtiv-Gesetz kann wohl wirklich nicht alles gewesen sein. Es hilft dort, wo es Jobs zu vermitteln gibt, schneller an sie heranzukommen. Es hilft nicht da, wo es keine gibt. Mit anderen Worten: Über das Konjunkturproblem hinaus gibt ein Strukturproblem, im Osten seit zwölf Jahren, im Westen schon länger. Also wird Flexibilität überall Pflicht, Tabus – zum Beispiel der Niedriglohnbereich – sind verboten. Und anders, als die PDS sich das vorstellt, wird die Frage nach Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen jetzt erst recht aufgeworfen. Denn gerade laufen viele aus, mit Folgen für die Arbeitslosenstatistik. Wenn ABM doch nur für ihre Dauer Hoffnung geben, wie lange können sie dann Zukunft haben?
Die Antwort kann hart sein. Sie kann Hartz sein (wenn dessen Kommission noch als überparteilich akzeptiert wird), oder aber von Lothar Späth kommen. Gleichviel, eines nutzt jetzt schon allen: Der Wettbewerb neuer Ideen ist eröffnet. Er ist wahlpolitisch entscheidend und für die Entscheidung der Wirtschaft ausschlaggebend. Was sich im Duell zwischen Kanzler und Kandidat auf dem großen Boulevard abgezeichnet hat, ist spannend: Der Kampf geht ums Detail. Mag Wirtschaft auch viel Psychologie sein, ganz erschöpft sie sich nicht in ihr. Hartz will noch mit Neuem kommen. Ein Wunder ist es da nicht, dass der Kanzler immer noch Hoffnung hat. Hoffnung machen ist sein Job.
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