Politik: Der Schütze zielt aufs Tor
Von Gerd Appenzeller
Unser aller Held ist Helmut Schmidt, und das seit mehr als 40 Jahren. Als eine furchtbare Sturmflut 1962 die deutsche Nordseeküste heimsuchte, drängte der damalige Hamburger Innensenator und spätere Bundeskanzler auf umfassende Hilfe der Bundeswehr. Hunderte von Menschen wurden gerettet, aber der Einsatz des deutschen Militärs war durch das Grundgesetz nicht gedeckt. Damals. Inzwischen wurde unsere Verfassung so modifiziert, dass die Soldaten auch bei Katastrophen helfen dürfen. Wir erleben es gerade im Schneechaos von Bayern.
Nun wird darüber geredet, ob die Bundeswehr im Umfeld der Fußball-Weltmeisterschaft eingesetzt werden soll. Die Befürworter sagen, dass die deutschen Polizeikräfte alleine zu schwach seien, zwölf offizielle Veranstaltungsorte und noch mehr Massenspektakel um Großbildleinwände herum vor Hooliganhorden oder terroristischen Anschlägen zu schützen. Die Gegner beschwören das Schreckgespenst von Panzern vor dem Stadion und martialische Bilder hochgerüsteter Soldaten in den Straßen.
Die Rechtslage gibt einen Einsatz der Bundeswehr bei der WM nur unter Dehnung der Gesetze her. Unstrittig sind die Bereitstellung von Logistik, Sanitätspersonal und Luftraumüberwachung. Dass die Übernahme polizeilicher Verantwortung zulässig sei, wird weitgehend verneint, die Bundeswehr könne so etwas nicht. Das klingt schlüssig. Wer möchte schon, dass sich Wehrdienstleistende mit aggressiven Schlägern auseinander setzen müssen? Der Schütze gehört beim Fußball aufs Feld – als Torschütze. Als militärischer Dienstgrad hat er im Stadion nichts zu suchen. Aber darum geht es nicht, so wenig wie um die Gulaschkanonen, mit denen die Bundeswehr die Mägen der Helfer und der Fans füllen möchte. Das könnte das Technische Hilfswerk genauso wie die jeweilige örtliche Feuerwehr. Und es geht auch nicht um die Erinnerung daran, dass die Bundeswehr sowohl auf dem Balkan als auch in Afghanistan Polizeiaufgaben im großem Maßstab wahrnimmt und dass es Feldjäger gibt, die sich vermutlich nicht gar so dilettantisch anstellen würden.
Die Befürworter eines Bundeswehreinsatzes im Inneren denken nicht an die WM. Die ist für sie allein Vehikel, einen anderen Gedankengang voranzutreiben: Käme es heute in Deutschland zu einem Terrorangriff ähnlich dem am 11. September 2001 in den USA, wäre sehr zweifelhaft, ob die Bundeswehr, für was und gegen wen auch immer, eingesetzt werden dürfte. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz am kommenden Mittwoch wird an dieser unklaren Rechtslage nicht viel ändern. Dabei geht es um die Frage, ob die Bundesregierung ein von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug abschießen darf, um eine Katastrophe wie die im World Trade Center zu verhindern. Ein terroristischer Anschlag führt weder zu einem Verteidigungs- noch zu einem Spannungsfall oder gar zu einer Gefahr für den Bestand des Landes oder der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – alles Voraussetzungen, die das Grundgesetz in Artikel 87a für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren nennt. Klarheit schaffen könnte hier nur eine Grundgesetzänderung, die den Einsatz der Streitkräfte auch bei einer Bedrohung durch einen terroristischen Anschlag erlaubt.
Das wissen die Beteiligten, die jetzt so diskutieren, als ginge es nur um Fußball. Natürlich könnte man sich damit trösten, Deutschland sei durch terroristische Anschläge kaum gefährdet. Sicherheitsexperten nennen das eine gefährliche Illusion. Man kann darauf verweisen, dass Helmut Schmidt 1962 die Sache um den Preis eines kleinen Verfassungsbruchs geregelt hat. Gerade, wer im Hinblick auf den Missbrauch des Militärs in der NS-Zeit gegen den Einsatz der Soldaten im Inneren ist, sollte sich jedoch mit Grauzonen in der Verfassung nicht abfinden. Unsere demokratischen Institutionen – zu denen die Bundeswehr gehört – haben sich bewährt. Wir sollten ihnen und uns zutrauen, dass mehr Rechte nicht zu mehr Missbrauch, aber sehr wohl für alle zu mehr Klarheit führen.
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