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Politik: Der Taktierer

Für Jiang Zemin ist es voraussichtlich der letzte offizielle Staatsbesuch in Deutschland. Ab Montag wird der 75-Jährige, der nach dem Parteitag im Herbst als Präsident zurücktreten wird, zu politischen Gesprächen in Berlin erwartet.

Für Jiang Zemin ist es voraussichtlich der letzte offizielle Staatsbesuch in Deutschland. Ab Montag wird der 75-Jährige, der nach dem Parteitag im Herbst als Präsident zurücktreten wird, zu politischen Gesprächen in Berlin erwartet. Für die deutsche Regierung ist der Besuch dennoch wichtig. Als starker Mann im Hintergrund wird Jiang Zemin in den kommenden Jahren weiter die Geschicke Chinas bestimmen.

Als der Reformer Deng Xiaoping 1989 den farblosen Bürokraten an Chinas Spitze stellte, hätte kaum jemand erwartet, dass Jiang Zemin sich so lange halten würde. In den Wirren nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) in Peking galt Jiang als ein Kompromisskandidat, dem kaum jemand eine längere Amtszeit zutraute. Als "huaping" schmähten ihn manche - als eine "Blumenvase", weil er bei Empfängen nur herumstand und freundlich lächelte.

Heute ist der ehemalige Elektroingenieur der unbestrittene Führer einer erstarkenden Großmacht. Als Parteichef, Staatspräsident und Vorsitzender der Militärkommission hält er die drei wichtigsten Ämter im Land. In der Schule lernen die Kinder seine politischen Texte auswendig. Wie bei Mao Zedong werden seine Gedichte auf den Titelseiten der Staatszeitungen zitiert ("Die Sonne stößt durch die Wolken und färbt die ganze Landschaft rot."). Auch wenn Jiang im Volk nicht gerade geliebt wird, seine Macht zweifelt innerhalb der Kommunistischen Partei niemand an.

Jiang Zemin ist kein Ideologe, sondern ein Taktierer, der Altmarxisten und Reformkräfte ausbalanciert. In der Außenpolitik pocht er auf eine starke Stellung Chinas, gleichzeitig hat er die Beziehungen zu Washington und Europa stabilisiert. Chinas wirtschaftliche Öffnung hat er in den vergangenen Jahren stetig vorangetrieben. Doch hier enden Jiangs Reformen: Die starre KP-Herrschaft ließ er unangetastet. Demokraten und Dissidenten schickte er in die Arbeitslager. Mit der Kampagne gegen den Falun-Gong-Kult ist Jiang für die Verfolgung Tausender verantwortlich.

Beim Parteitag der KP im Herbst, auf dem die alte Garde einer jüngeren Generation Platz machen soll, entscheidet sich Jiangs künftige Rolle. Beobachter rechnen damit, dass Jiang die Ämter des Staatspräsidenten und Parteichefs abgibt, jedoch weiter die mächtige Militärkommission leiten wird. Wie einst Mao und Deng würde Jiang Zemin jedoch weiter im Hintergrund die wichtigen Entscheidungen treffen.

Harald Maass

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