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Antisemitischer Hass. Auch 2020 wurden wieder jüdische Friedhöfe geschändet - allerdings deutlich weniger als im Jahr zuvor. Im Bild beschmierte Grabsteine von einem Vorfall 2012

© Bernd Wüstneck/dpa-Zentralbild

Exklusiv

Antisemitische Kriminalität: Deutlich weniger jüdische Friedhöfe geschändet

Im vergangenen Jahr stellte die Polizei 20 Angriffe auf jüdische Friedhofe fest, 40 Prozent weniger als 2019. Aber auch die Aufklärungsquote ist gering.

Von Frank Jansen

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Im Pandemiejahr 2020 boomte der Extremismus, doch es gibt einen Lichtblick. Die Zahl der politisch motivierten Schändungen jüdischer Friedhof sank nach Informationen des Tagesspiegels deutlich. Die Polizei stellte insgesamt 20 Straftaten fest, im Jahr 2019 waren es 34. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf schriftliche Fragen von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) hervor. Einen Grund für den enormen Rückgang nennt das Ministerium nicht.

Zu vermuten ist, dass angesichts staatlicher Ausgangsbeschränkungen in der Pandemie auch Antisemiten öfter zuhause blieben als üblich. Dennoch gibt es einen scharfen Kontrast zur generellen Entwicklung antisemitischer Kriminalität. Sie erreichte im Jahr 2020, wie berichtet, mit 2351 Straftaten den höchsten Stand seit 2001. Die Hetze im Internet schwoll weiter an, außerdem kam es bei den Demonstrationen von Coronaleugnern zu antisemitischen Vorfällen. Die meisten Straftaten ordnet die Polizei Rechtsextremisten zu. Das ist allerdings umstritten, weil bei einem Teil der Delikte die Täter unbekannt bleiben.

Niedersachsen an der Spitze

Die meisten Angriffe auf jüdische Friedhöfe meldete 2020 die Polizei in Niedersachsen. Hier gab es fünf Delikte. Es folgen Hessen  (vier Schändungen) und Berlin (drei Taten). Die Berliner Zahl ist womöglich zu niedrig. Die unabhängige Recherchestelle und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) berichtete für 2020 von vier Beschädigungen bei jüdischen Friedhöfen in der Hauptstadt.

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Die häufigsten Delikte bundesweit waren  nach Angaben des Innenministeriums Sachbeschädigungen (neun),  Propagandadelikte (vier) und drei Störungen der Totenruhe. Bei den Propagandadelikten handelte es sich um Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen auf den Friedhöfen. Das bedeutet in der Regel, dass Antisemiten den Hitlergruß zeigen und Naziparolen rufen. Hakenkreuzschmierereien werden hingegen von der Polizei als Sachbeschädigung gewertet.

Schändungen in diesem Jahr in Hessen und Sachsen

Unterdessen berichtete der Zentralrat der Juden in Deutschland dem Tagesspiegel von zwei Vorfällen in diesem Jahr. Im Mai wurden jüdische Grabsteine im hessischen Heusenstamm geschändet, im Juli der jüdische Friedhof in Chemnitz. In Heusenstamm schmierten die Täter Hakenkreuze und Parolen, in Chemnitz wurden die Grabsteine der letzten Ruhestätte von drei jüdischen Kindern umgestoßen.

Die Aufklärungsquote bei Angriffen auf jüdische Friedhöfe blieb auch 2020 extrem niedrig. Die Polizei konnte nur eine Straftat aufklären, da ging es um eine Bedrohung auf einem Friedhof in Niedersachsen. Im Jahr 2019 hatte die Polizei nur bei drei der insgesamt 34 Delikte Tatverdächtige ermittelt. Bei der Schändung jüdischer Friedhöfe gibt es nur selten Zeugen, die Täter bleiben meist unerkannt.

Deutlich besser ist die Aufklärungsquote bei antisemitischen Delikten insgesamt. Das zeigt schon ein Blick auf die aktuellen Zahlen. Die Polizei stellte von Januar 2021 bis einschließlich März bundesweit 428 antisemitische Delikte  fest und konnte 218 Straftäter ermitteln. Beide Zahlen werden vermutlich noch  steigen, da die Polizei erfahrungsgemäß viele Taten nachmeldet. Die vorläufige Bilanz für das erste Quartal entstammt ebenfalls einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage von Petra Pau und der Linksfraktion. 

Prozess in Düsseldorf wegen antisemitischer Hetze

In einem extremen Fall antisemitischer Hetze begann am Donnerstag am Oberlandesgericht Düsseldorf der Prozess. Die drei Angeklagten sollen als Mitglieder der Gruppierung „Goyim Partei“ im Internet Judenhass verbreitet haben, bis hin zu Vernichtungsfantasien. Die Volksverhetzung war so gravierend, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernahm. In einer Mitteilung werden die Taten als "zutiefst herabwürdigende antisemitische Propaganda" bezeichnet.

Im Juli 2020 wurden die mutmaßlichen Rädelsführer festgenommen. Es handelt sich um den Berliner Neonazi Marcus B. und den aus einer irakischen Familie stammenden, deutschen Staatsbürger Fadi J. Angeklagt ist zudem Christian B., er soll rund 20 judenfeindliche Postings veröffentlich haben.

Die Bundesanwaltschaft wirft Marcus B. und Fadi J. vor, mit weiteren Antisemiten die kriminelle Vereinigung "Internationale Goyim Partei" gegründet zu haben. Der Begriff Goyim ist abgeleitet vom hebräischen Wort "Goi", das ist die jüdische Bezeichnung für Nicht-Juden. Christian B. soll Mitglied der Goyim Partei gewesen sein.

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