zum Hauptinhalt
Ein Thema, zwei Demonstrationen: Fahnen von Israel und Palästina auf der Straße Unter den Linden in Berlin.

© IMAGO/Achille Abboud

Die Deutschen und der 7. Oktober: Staatsräson – von wegen

Es ist beschämend, wie brüchig in Deutschland die Solidarität mit Israel ist. Ein großes Problem ist aber auch die Entweder-oder-Logik. Als wäre nur eines möglich, Verbundenheit mit Israel oder Mitgefühl mit den Palästinensern.

Karin Christmann
Ein Kommentar von Karin Christmann

Stand:

Zwei Jahre sind vergangen seit dem Tag, an dem Terroristen in Israel einfielen, mit dem unbedingten Willen zu töten. Sie wollten ihre Opfer entmenschlichen, ein ganzes Land traumatisieren. So ist es gekommen.

Zwei Jahre seit jenem Tag, der die Zeit für die Menschen in Israel, für Jüdinnen und Juden in aller Welt in ein Davor und ein Danach teilt. Aber nicht nur für sie. 

Der 7. Oktober und seine Folgen zwingen Deutschland, sich den schmerzhaftesten Fragen von Identität, Haltung und Verantwortung zu stellen. In den beiden Jahren hat Deutschland als Nation in den Spiegel blicken müssen. Das Bild hat Sprünge und ist unscharf.

Die Debatten stecken in einer verhängnisvollen Entweder-oder-Logik fest. Als wäre nur eines möglich, entweder Solidarität mit Israel oder Mitgefühl mit den Palästinensern.

Wie brüchig in Deutschland ebendiese Solidarität mit Israel ist, ist beschämend. Zwar nimmt Deutschland in der internationalen Politik eine Sonderrolle ein. Doch die Diskrepanz ist groß zwischen dem, was Politiker anmahnen, und dem, was von den Menschen kommt.

Die Namen der Geiseln? Weithin unbekannt

Es gab nach dem 7. Oktober keine nennenswerten öffentlichen Solidaritätsbekundungen mit dem attackierten jüdischen Staat. Die Menschen blieben zu Hause und nahmen seltsam unberührt zur Kenntnis, dass Männer abgeschlachtet, Frauen vergewaltigt, Babys verstümmelt worden waren.

Zwei Jahre der immerwährenden Folter haben die Verschleppten, die noch in Gaza sind, nun hinter sich. Unvorstellbar. Die Namen der verbliebenen Geiseln, der deutsch-israelischen gar, sind der deutschen Öffentlichkeit aber noch immer weithin unbekannt.

Das Land nimmt kaum Anteil am Bangen der Familien, die toten Geiseln werden nicht betrauert. Deutschland als Nation hat Israel in einer seiner dunkelsten Stunden nicht zur Seite gestanden. Staatsräson – von wegen. Diese Erkenntnis ist bitter.

Je länger der Krieg andauert, je unerträglicher die Lage in Gaza wird, desto mehr gerät das Leiden der Palästinenser in den Blick der Öffentlichkeit. Zu Recht. Es ist entsetzlich, dass in Gaza Zivilisten sterben, hungern, ihre Heimat verlieren. Familien werden auseinander gerissen, Eltern trauern um ihre Kinder. Ärzte berichten von furchtbarsten Zuständen, davon, dass es am Allernötigsten fehlt, um Kranke und Verletzte versorgen zu können.

Das Vorgehen der Regierung Netanjahu muss jeden Freund Israels verstören. Und doch ist die Frage, wer verantwortlich ist für das Leid in Gaza, nicht so einfach zu beantworten, wie es die Schreihälse, die gegen Israel mobilisieren, glauben machen wollen.

Leuchtfeuer der revolutionären Hoffnung

So werden die Gräueltaten des 7. Oktober in einem Demo-Aufruf bezeichnet

Anders als bei den Schicksalen auf israelischer Seite treffen die Qualen der Palästinenser in Deutschland auf emotionale Resonanz. Doch leider passiert noch viel mehr. Da behaupten Menschen von sich, für die palästinensische Sache zu streiten, verherrlichen aber Hamas-Terroristen als Freiheitskämpfer. Da gilt es als Debattenbeitrag, Andersdenkende niederzuschreien und Hörsäle zu verwüsten. All diesem Treiben hätte von Anfang an viel schärfer Einhalt geboten werden müssen.

Durch Zuwanderung aus islamischen Staaten hat sich das Antisemitismus-Problem, das Deutschland ohnehin schon hatte, massiv verschärft. Die vergangenen zwei Jahre haben gezeigt, dass Deutschland noch lange keinen Weg gefunden hat, dem zu begegnen. Die Mehrheitsgesellschaft hat viel zu lange nicht wahrhaben wollen, welches neue Potential an Menschenfeindlichkeit, auch an Gewalt ins Land gekommen ist.

Ein Schlaglicht auf den Wahnsinn wirft der Aufruf zu einer Demonstration am Dienstagabend. Der 7. Oktober wird darin als „heldenhafter Ausbruch aus dem Gefängnis“ und „Leuchtfeuer der revolutionären Hoffnung“ gefeiert. Wer so etwas schreibt, dem ist in keiner Hinsicht mehr zu helfen.

Antisemitismus tarnt sich als Mitgefühl für Palästina. Wer den Deutschen einen guten Vorwand gibt, Juden zu hassen, der wird Gehör finden. Darin liegt eine immense Gefahr. Noch tritt das Land ihr nicht entschlossen genug entgegen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })