Politik: Die Macht des Schlagers
Es steht ziemlich schlecht um den deutschen Schlager. Er atmet schwer, hat die entscheidenden Reime längst verschlissen, ja, er kann anscheinend nur noch überleben in Symbiose mit saftstrotzenden Seppelhosenträgern, und auch das nur in seinem letzten angestammten Ökotop, dem Sendegebiet des MDR.
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Es steht ziemlich schlecht um den deutschen Schlager. Er atmet schwer, hat die entscheidenden Reime längst verschlissen, ja, er kann anscheinend nur noch überleben in Symbiose mit saftstrotzenden Seppelhosenträgern, und auch das nur in seinem letzten angestammten Ökotop, dem Sendegebiet des MDR. Das nützt anderswo wenig, und vermutlich deshalb haben die Leute von SWF 4 drunten im Südwesten, die ja vom Schlagerwegsenden leben, eine so ungewöhnliche Werbekampagne lanciert. „Wir sagen Ja zum deutschen Schlager“, teilen drei Menschen mit, von denen einer richtig prominent ist: Kurt Beck.
Vom Problembär zum Schlagerfuzzi: eine seltsame, anrührende Wandlung. Damit ist Beck ein wenig wie seine Partei. Ho, ganz früh waren sie alle Rock ’n’ Roller, ausgenommen vielleicht Beck selbst, der ja schon Elektrikerlehre und Gewerkschaft unter einen Hut bringen musste, als die Altersgenossen noch kiffend Pink Floyd hörten. Es folgten die strengen Jahre, da die Linke am Lagerfeuer den Barden Errrrnst Busch das Hohe Lied der Solidarität knattern ließ. Dann wurde man ruhiger, gab sich entspannt und gab sich beim Treffen des Ortsvereins in die Hände der regionalen Dixieland-Kapelle, das verband die Enkel mit den Großvätern im gemeinsamen Weghören. Nun die finale Hinwendung zu Herz und Schmerz, eine Reverenz vor der Macht der Alterspyramide, gewiss, aber irgendwie sehr authentisch. Schmilzt nicht auch Gerhard Schröder zu den Reimen der Kapelle „Pur“ dahin, pflegt nicht Sigmar Gabriel, Ex- Popbeauftragter seiner Partei, innige Freundschaft zu Peter Maffay?
Selbst die CDU, die nun darüber schimpft, dass der Heimatsender landesweit den Chef der falschen Partei plakatiert, kann in der Sache nicht anders: Sie bekennt sich „selbstverständlich“ zum deutschen Schlager, so flüssig, wie sie sich zu Menschenrechten, sozialer Marktwirtschaft und christlichem Abendland bekennt. Der deutsche Schlager ist also eine Macht, ein Untoter, der immer noch hohe Politiker hinter sich bringt – Verstöße gegen diese Erkenntnis ahndet das Politbarometer sofort. Hätte Beck sich zu Webern-Streichquartetten und Schönberg-Sinfonik bekannt, wäre er sofort als volksferner Besserhörer verhöhnt worden. Tödlich!
Aber wie weit wird er gehen? Gemeinsam im Terzett mit den Wildecker Herzbuben, das wäre die optisch wie musikalisch überzeugendste Verbindung. Parallel ließe sich der deutsche Schlager im SPD-Grundsatzprogramm verankern. Dann muss nur noch jemand her, der ihn auch wirklich hören will.
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