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Politik: Doktor Tod hat ausgespielt

HAGENS’ LEICHENSCHAU

Von Peter von Becker

Spiel mir das Lied vom Tod. Dieser suggestiven Lockung sind bisher auch die 14 Millionen Besucher jenes anatomischen Theaters gefolgt, das Gunther von Hagens berühmt, reich und berüchtigt gemacht hat. Jetzt aber hat der Herr der „Körperwelten“, umstritten seit dem Tourneestart 1997, ein mehr als nur moralisches Problem.

„Der Spiegel“ hatte letzte Woche in einer akribisch recherchierten Titelgeschichte über die Geschäfte des „Dr. Tod“ berichtet, dass von Hagens in seiner Körperverwertungsfabrik in Nordostchina wohl auch Leichen frisch hingerichteter und von staatlichen Organhändlern zuvor ausgeweideter Häftlinge benutzt habe. Am Donnerstag hat Gunther von Hagens im Ambiente seiner zurzeit in Frankfurt/Main gezeigten Leichenschau dann zögernd zugegeben, dass in seiner chinesischen Firma soeben „sieben Ganzkörperpräparate“ gefunden worden seien, bei denen es sich vermutlich um Exekutionsopfer handele. In seiner neuesten Ausgabe meldet der „Spiegel“ nun, von Hagens sei bereits vor zwei Jahren über solche Fälle informiert worden.

Der Mann mit dem doppelt nibelungischen Namen und seinem dämonisch koketten Django-Beuys-Hut sieht sich bisher als Wissenschaftler und Künstler – in der Nachfolge gar eines Leonardo da Vinci und dessen früher anatomischer Studien und geheimen Sektionen. Hagens beruft sich als Pathologe zugleich auf einen „demokratischen“ Bildungsauftrag, indem er Knochen, Muskeln und Hirne, Genitalien und Föten nicht allein Fachwissenschaftlern, sondern jedermann an- und einsichtig machen will. Das öffentliche Interesse, ja die Zuschauermassen gäben ihm hierbei Recht.

Nun ist es wohlfeil, über das Publikum zu streiten. Ein Stück Voyeurismus gehört zur menschlichen Natur und ist mitunter der Antrieb für entdeckerische Neugier. Andererseits gibt es für jeden Grusel und jede Unappetitlichkeit ein Publikum, das wusste schon Nero so gut wie ein RTL-Intendant. Wo öffentliche Hinrichtungen noch erlaubt sind, füllen sie Fußballstadien: wie in China.

Wir aber haben Folterungen und die Todesstrafe abgeschafft, haben Fernsehübertragungen von Gerichtsverhandlungen aus Sorge um Schauprozesse untersagt und senden auch nicht aus Bordellen, Psychiatrien, Operationssälen, Gefängnissen oder Schlachthöfen. Das alles richtet sich zwar gegen mögliches Zuschauerinteresse, hat aber für die große Mehrheit selbst einer pluralistisch offenen Gesellschaft noch immer mit menschlicher Scham, mit ethischem Respekt und mit zivilisatorischer Vernunft zu tun.

Mit solcher Vernunft ist der Kehrseite des Voyeurismus indes schwerer beizukommen: dem Exhibitionismus nämlich all derer, die sich freiwillig darstellen, ausstellen und notfalls auch demütigen lassen. In einer Gesellschaft, die den Tod und das Sterben aus dem sozialen und familiären Leben weitgehend verbannt hat und sich im Traum vom immer längeren alterslosen Leben wiegt, gibt es viele, die sich als künftige Exponate der Hagensschen „Körperwelten“ anbieten – als könnten sie so ihren eigenen Tod doch noch überdauern.

Auf diese Menschen und das ausdrückliche Einverständnis der Verstorbenen und deren Hinterbliebenen hatte sich von Hagens bisher berufen, wenn neben ethischen auch juristische Bedenken gegen seine Leichenverwertung aufkamen. Jetzt aber ist offenkundig, dass es obskurste Körper-Welten sind, aus denen der von Kirgisien bis Fernasien operierende Pathologe sein Menschenmaterial bezieht. So werden des Doktors Totenspiele wohl endlich zum Rechtsfall. In Frankfurt müssen Justiz und Ordnungsamt prüfen, ob bei der zweifelhaften Herkunft der dort ausgestellten Leichen die Menschenwürde, die Persönlichkeitsrechte und das Gebot der „Totenruhe“ wirklich gewahrt wurden. Andernfalls kann der schamanische Scharlatan seinen schwarzen Hut nehmen.

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