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Politik: Dünn macht Druck

Das größte Problem der Politik besteht darin, dass sie nicht mehr funktioniert. Egal, was der Politiker will: Er hat immer 50 Prozent gegen sich, wenn nicht mehr.

Das größte Problem der Politik besteht darin, dass sie nicht mehr funktioniert. Egal, was der Politiker will: Er hat immer 50 Prozent gegen sich, wenn nicht mehr. Die Lobbyisten machen unentwegt Ärger, Pläne sickern durch, bevor sie überhaupt durchdacht sind, und am Ende stellt sich immer entweder die Ministerpräsidentenkonferenz quer oder Greenpeace kippt einen Schwall Gülle vor die Tür. Ohne gusseisernes Naturell geht da nichts: Edmund Stoiber hat gerade mitgeteilt, er lege sehr gern noch eine Legislaturperiode drauf – einer, dem sein Job, äh, also, Spaß macht, knapp, aber deutlich. Stoiber hat, wie er sagen würde, die Kompetenzkompetenz. Große Ausnahme!

Weniger kompetente Politiker müssen andere Mittel finden. In Frankreich hat ein Abgeordneter der Nationalversammlung jetzt ein Modell zur Durchsetzung politischer Forderungen entwickelt, das die Demokratie verändern wird. Er hungert seit dem 7. März, um zu verhindern, dass in seinem Pyrenäen-Wahlkreis eine Fabrik mit 150 Arbeitsplätzen geschlossen wird. Karfreitag kam er ins Krankenhaus, körperlich geschwächt, aber politisch stark wie nie. Denn Präsident Chirac hat die Fabrik angesichts des nahen Abgeordnetentodes soeben einem japanischen Konzern aufgeschwatzt. Ziel erreicht!

Es ist dies das Modell „Einer gegen alle“, das freilich nur in Ausnahmekonflikten zu einer sachgerechten Lösung führen kann. Übertragen auf die deutsche Gesundheitsreform beispielsweise hieße es, dass sechs oder sieben Interessenvertreter gleichzeitig in den Hungerstreik treten und am Ende immer die Forderungen desjenigen erfüllt werden, der gerade am schmächtigsten aussieht. Der dünne Lauterbach von der SPD müsste also nur einmal sein Frühstücksmüsli ausfallen lassen, und schon wäre die Bürgerversicherung praktisch durchgesetzt.

Folglich sollten wir bei der Wahl unserer Volksvertreter künftig sehr auf deren körperliche Beschaffenheit achten. Helmut Kohl zum Beispiel hätte die neue Technik nie glaubwürdig einsetzen können, und auch Kurt Beck verkörpert ein denkbar geringes Drohpotenzial. Edmund Stoiber hingegen verkörperte auch bei dieser heiklen politischen Drucktechnik wieder einmal die volle Kompetenzkompetenz.

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