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Donald Trump unterzeichnet den Austritt aus dem Atomabkommen mit dem Iran: Für ihn sind internationale Verträge nicht so wichtig wie "America First".

© REUTERS/Jonathan Ernst

Einträge ins LOGBUCH: Das multilaterale System ist alles, was wir haben

Immer öfter werden nationale Interessen über globale gestellt. Doch wir brauchen die internationale Zusammenarbeit. Eine Kolumne.

Der Klimawandel kostet bereits vielen Menschen das Leben. Dass die 196 Vertragsstaaten die Mindestanforderungen des Übereinkommens von Paris einhalten, nämlich die Erderwärmung auf unter zwei Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen, ist unwahrscheinlich. Dabei sind die Minimalanforderungen nicht einmal ausreichend. Der Vertragstext verlangt, dass die Temperatur „deutlich“ unter zwei Grad gehalten wird und „Anstrengungen unternommen werden“ sie unter anderthalb Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu halten. Studien zeigen, dass selbst, wenn alle Staaten sich ernsthaft bemühten, die Mindestanforderungen umzusetzen, es nicht ausreichte, um den Klimawandel unter Kontrolle zu bekommen. Laut einer Veröffentlichung der National Academy of Science der USA in diesem Monat ist die Erderwärmung, wenn eine bestimmte Grenze einmal erreicht ist, weder umkehr- noch aufhaltbar. Diese Grenze werde in nicht allzu ferner Zukunft überschritten.

Und gerade jetzt nimmt die Zusammenarbeit zwischen den Staaten, der Multilateralismus, Schaden: Anfang des Jahres kündigte die USA an, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen und diesen Sommer aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. In Europa haben in den letzten Jahren EU-Skeptiker an Zulauf gewonnen. Die Tendenz, nationale Interessen über globale zu stellen, ist allerdings kein Randproblem oder Wesensmerkmal populistischer Akteure. Dass die politischen Eliten der jeweiligen Staaten nationale Interessen über globale stellen, ist der Idee des Nationalstaates immanent. Ob die Politik hierbei korrekt ausmacht, was eigentlich die nationalen Interessen sind und welche Rolle Lobbyisten spielen, ist ein Thema für sich: wessen Amerika meint eigentlich „America First“? Um der Katastrophe, zu der eine systemische Bevorzugung nationaler Interessen führen kann – nämlich Krieg –, vorzubeugen, hat die Weltgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg die Grundpfeiler des Multilateralismus, wie er heute wirkt, errichtet. Die Charta der Vereinten Nationen wurde im Oktober 1945 ratifiziert.

Die internationale Zusammenarbeit ist ein existentielles Anliegen

Das multilaterale System hat oft nicht funktioniert. Aber es ist alles, was wir haben, um global entstehenden Problemen auch global zu begegnen. Das bedeutet nicht, dass staatliche Schutzpflichten beschränkt werden. Im Gegenteil: Gerade diese Schutzpflicht erfordert eine Politik, in der Staaten gemeinsam steuern, was sie im Alleingang nicht beeinflussen können. Oder sogar in einer Weise beeinflussen, die allen Menschen und damit auch ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern schadet. Deshalb führt der Weg zu erhöhtem nationalen Schutz eben nicht über den Rückzug aufs Nationale. Gerade die internationale Zusammenarbeit ist zu einem drängenden, einem existentiellen, nationalen Anliegen geworden.

Allerdings eines, das keine Erwähnung findet bei denjenigen, die den alten Nationalismus wieder en Vogue gemacht haben. Sie, die am lautesten Heimat schreien, richten den größten heimatlichen Schaden an, weil sie die Zusammenarbeit von Staaten angreifen. Während sie politische und finanzielle Ressourcen darauf verschwenden, Mauern zu bauen, Grenzen zu schließen, zwischen Wirtschafts-, politischen, integrierten und nicht integrierten Geflüchteten zu unterscheiden, verschwinden allmählich mit der Zerstörung des Planeten die Kriterien dieser Unterscheidungen. Der Verrat, den wir an den anderen begehen, ist am Ende ein Verrat an uns selbst. Sind unsere Lebensgrundlagen einmal unwiderruflich zerstört, gibt es niemanden mehr, der unsere Asylanträge annehmen könnte.

Deniz Utlu

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